Man nennt sie Dschihadisten, Syrien-Fahrer oder Kriegstouristen. Es gebe immer mehr von ihnen, meldete jüngst das Bundesamt für Polizei; auch aus der Schweiz. Doch wer diese selbsternannten Gotteskrieger sind und was sie in den religiös motivierten Extremismus getrieben hat, weiss offenbar niemand.
Bekannt sind nur einige Einzelfälle
Das wenige, das man über Dschihadisten aus westeuropäischen Ländern wisse, stamme aus Einzelfallstudien in Deutschland, England, oder den skandinavischen Ländern, sagt Miryam Eser. Sie ist Dozentin im Departement für Soziale Arbeit an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften.
Es gebe gut gebildete, studierende aber auch schlecht integrierte junge Menschen, die sich den Dschihadisten in Syrien anschlössen. «Allen gemeinsam ist, dass sie über das Internet den Einstieg gefunden haben», so Eser. Allerdings wäre es wichtig, mehr darüber zu erfahren, welche Bedingungen dazu führten, dass sich jemand den selbsternannten Gotteskriegern anschliesse. Das will die Pädagogin Eser zusammen mit der Ethnologin Brigitta Gerber und der Islamwissenschaftlerin Ilona Möwe angehen.
Den Hintergrund ausleuchten
Die drei Forscherinnen planen Interviews mit Eltern von Dschihadisten, mit Lehrpersonen und Imamen. Über Vertrauensleute sollte der Zugang auch zu jenen muslimischen Gemeinschaften möglich sein, die sich sonst eher abschotten, hofft Eser. Im Moment sei das aber noch nicht aktuell.
Vorerst gehe es darum, Grundlagenmaterial zu sammeln und wichtige Forschungsfragen zu formulieren: Wie könnte man stärker präventiv arbeiten? Was für Jugendliche ziehen überhaupt in den Dschihad? Welche Hintergründe haben mitgespielt? Wie geht man mit Rückkehrern um?
In erster Linie seien gewiss die Sicherheitsorgane wie Nachrichtendienst, Polizei und Justiz gefragt, sagt die Pädagogin. Doch das allein genüge nicht. So stelle sich etwa bei der Prävention die Frage der Beratung, um ein früheres Eingreifen zu ermöglichen.
Aussteiger zur Prävention einspannen
Ebenfalls brauche es Ideen für den Umgang mit Aussteigern und Rückkehrern. Dies sei ein wichtiger Punkt, weiss die Spezialistin für Rechtsextremismus. «Gerade Aussteiger können eine wichtige präventive Wirkung haben, wenn sie von ihren Erfahrungen erzählen.»
Im dänischen Århus gibt es umfangreiche Integrationsprogramme für Dschihad-Rückkehrer. Deutschland bietet Beratungsstellen für Eltern oder Lehrpersonen von Jugendlichen, die in religiösen Extremismus abzugleiten drohen, an. In Grossbritannien, Frankreich oder Holland existieren Deradikalisierungs-Projekte und Interventionsprogramme.
Wer Rat sucht, soll ihn auch finden
Von all diesen Erfahrungen könnte die Schweiz profitieren, ist Pädagogin Eser überzeugt, ohne nun selber eine riesige Infrastruktur aufbauen zu müssen. Der Nachrichtendienst des Bundes geht ja von gerade mal 56 Schweizer Dschihadisten aus und nur ein einziger Rückkehrer ist bis jetzt bestätigt. «Aber es wäre wichtig, dass Rat suchende Betroffene wissen, wohin sie sich wenden können», so Eser.
Dafür müssten die Kräfte von Jugendberatern, Extremismus-Spezialisten, Imamen und anderen Bezugspersonen für junge Muslime gebündelt werden. Eser kann sich eine Art Netzwerk aus Fachkräften und Experten vorstellen, die eine Beratung anbieten könnten.
Erst letzte Woche hat die Kerngruppe Sicherheit des Bundes eine sogenannte Taskforce zur Bekämpfung von dschihadistisch motivierten Reisen eingesetzt. Geleitet wird sie vom Bundesamt für Polizei. Das Netzwerk, wie es Miryam Eser vorschwebt, wäre dazu keine Konkurrenz, sondern Ergänzung.