Fussball und Fasnacht sind jeweils eine Welt für sich. Für Aussenstehende ist vieles nicht immer nachvollziehbar. Der Fanmarsch des FC Luzern (FCL) in St. Gallen vom 15. Februar vereinte gleich beide Kulturen, war sozusagen Fussballfasnacht. Ein FCL-Anhänger verkleidete sich als orthodoxer Jude. Hinter ihm liefen knapp 300 Fans und johlten laut. Beim Betrachten der Bilder können einem mittelalterliche Judenhetzjagden in den Sinn kommen.
Entschuldigung klingt anders
Jonathan Kreutner findet den Scherz nicht lustig. Er ist Generalsekretär des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebunds (SIG). Am Montag hat er Post bekommen vom verkleideten Juden. Im Brief entschuldigt sich der falsche Jude. Allerdings anonym. Kreutner nimmt den Brief denn auch nur «zur Kenntnis». Ein Abschnitt im Entschuldigungsbrief (siehe Textbox) weise darauf hin, «dass der Schreiber nicht verstanden hat, worum es ging. Das zeigt, wie viel Unwissen vorhanden und wie viel Aufklärungsbedarf noch zu leisten ist.»
Ähnlich fassungslos reagierte Leila Feit. Die jüdische Ex-Kantonsrätin (ZH) will nicht lachen: «Einen Witz empfinde ich dann als rassistisch, wenn er darauf abzielt, die Masse gegenüber einer Minderheit aufzuhetzen». Im Gespräch betont sie, humorvoll zu sein. Aber Witze auf Kosten anderer Menschengruppen, das gehe gar nicht. Und da mache sie auch keinen Unterschied zwischen Juden, Muslimen und Andersgläubigen.
So viel Witzbeschränkung kann sich aber auch beengend anfühlen. Vor allem im närrischen Februar. Wer glaubt, in der Fasnacht herrsche Narrenfreiheit, lebt zu einer falschen Zeit. Im Basler Fasnachtskomitee, so ein Kenner, gelten viele ungeschriebene Gesetze. Unter anderem keine Witze über andere Religionen zu machen. Und in der Tat: Witze über Juden kamen in der jüngeren Vergangenheit fast keine mehr vor. Aber, muss man denn bei jedem Kalauer über das Judentum Angst vor dem Kadi haben?
«Witze über Österreicher werden ja auch gerissen»
Strafrechtsprofessor Daniel Jositsch zeigt sich auf Anfrage überrascht: «Strafrechtlich macht man sich mit Witzen kaum je schuldig.» Das Rassendiskriminierungsgesetz komme nur in den seltensten Fällen zur Anwendung.
Jositsch, selber jüdischen Glaubens, mahnt zur Gelassenheit: «Unsere Gesellschaft lebt ja auch von der Verballhornung anderer Länder und Sitten: Witze über Appenzeller und Österreicher werden ja auch gerissen.»
Ist der Schweizerische Israelitische Gemeindebund also – eine Spassbremse? Nochmals Kreutner: «Judenwitze, die Juden diffamieren, werden vor dem Hintergrund der Judenverfolgungen sehr sensibel aufgenommen.»
Vielleicht lässt sich das so zusammenfassen: Witze über Juden sind juristisch gesehen legal, moralisch aber nicht egal.
Wie urteilt darüber der «Nebelspalter»? Die satirische Zeitschrift war während des Zweiten Weltkriegs ein Bollwerk gegen den Nationalsozialismus. Marco Ratschiller leitet die Zeitschrift seit zehn Jahren.
Der Chefredaktor verzichtete seit Beginn auf Judenwitze. Als Grund führt er an: «Der öffentliche Diskurs macht nicht Halt an der Landesgrenze. Wir nehmen zumindest passiv an Debatten von Deutschland teil. Zum Beispiel, wenn dort in regelmässigen Abständen der Umgang mit der Vergangenheit und die Frage, wie sich Antisemitismus heute manifestiert, ausgelotet wird.»