Der Anstieg ist beachtlich: In den vergangenen sechs Monaten lag die Zahl der Baugesuche für Neubauten fast 40 Prozent über dem Mittel der vergangenen Jahre. Für einmal sorgten nicht nur die bekannten Boomregionen für das Wachstum. Vor allem in den Alpen ist der Ansturm auf die Bauämter seit dem Frühsommer enorm – Folge der im März angenommenen Zweitwohnungsinitiative.
Bis das entsprechende Gesetz zur Initiative ausgearbeitet und verabschiedet ist, gilt eine Verordnung, die der Bundesrat im August erlassen hat. Weil diese – zum grossen Unmut der Initianten – erst am 1. Januar in Kraft tritt, wurden zahlreiche Gemeinden in den Alpenregionen in den vergangenen Monaten mit Baugesuchen überschwemmt. Viele Projekte wurden dort mit dem klaren Ziel vorangetrieben, bis Ende Jahr noch eine Baubewilligung zu erhalten – eine erwartete und von Landschaftsschützern befürchtete Entwicklung.
«Deutlich mehr Gesuche, deutlich mehr Einsprachen»
Deutlich mehr Gesuche gingen zum Beispiel auf dem Bauamt der Gemeinde Vaz/Obervaz ein, zu der auch der Ferienort Lenzerheide gehört. Genaue Zahlen kann Amtsleiter Walter Büchi nicht nennen. Er schätzt, dass seit dem Frühsommer etwa doppelt so viele Gesuche eingingen wie in vergleichbaren Zeiträumen früherer Jahre. «Gleichzeitig hat es aber auch deutlich mehr Einsprachen gegeben», ergänzt der Bauamtsleiter. «Die Chancen, ein Projekt zu verhindern, sind derzeit sicher grösser als sonst.»
Das hat auch damit zu tun, dass die Rechtslage noch nicht eindeutig geklärt ist. So ist bislang noch offen, was mit Gesuchen geschieht, die zwar rechtzeitig bewilligt, wegen hängiger Einsprachen aber noch nicht rechtskräftig sind. Eine Frage, die letztlich wohl erst durch die Gerichte geklärt werden wird.
«Fünf-vor-Zwölf-Stimmung»
Eine andere Frage, die Bewohner der betroffenen Berggemeinden wohl ebenso umtreiben dürfte wie die Behörden, ist jene nach der Qualität der nun eingereichten Baugesuche. Richard Atzmüller, Leiter des Raumplanungsamtes des Kantons Graubünden, spricht von einer «Fünf-vor-Zwölf-Stimmung» in einigen Gemeinden. «Und ich hoffe», so der Bündner Amtsleiter, «dass in dieser Stimmung wenigstens Projekte bewilligt werden, die qualitativ gut sind.»
Immerhin lebe der Tourismus auch von der Landschaft, in der er betrieben werde. Zudem, so schätzt Atzmüller, könnten schlechte Projekte durchaus Einfluss haben auf den anstehenden Gesetzgebungsprozess. Mit anderen Worten: Rasch hingeworfene Projekte von zweifelhafter Qualität dürften in diesem Prozess wohl eher den Befürwortern strenger Regeln in die Hände spielen.
Kritik von den Landschaftsschützern
Mit grossem Unbehagen beobachtet die Stiftung Landschaftsschutz Schweiz den Boom bei den Baugesuchen. «Für uns ist es absolut unverständlich, dass Gemeinden und Kantone dem einfach so zuschauen», sagt Geschäftsführer Raimund Rodewald.
Die Stiftung Landschaftsschutz fordert vor allem die Gemeinden zum Handeln auf: «Sie könnten hier durch den Erlass von Planungszonen Einhalt gebieten», sagt Rodewald. Mit solchen Planungszonen könnten Baugesuche für eine gewisse Zeit sistiert werden – mehrere Bündner Gemeinden haben dies in den vergangenen Monaten bereits getan.
Rodewald fürchtet Schlimmes: Vielen traditionellen Ortsbildern drohe eine «regellose Überbauung» – auch, weil sie wie etwa im Kanton Wallis nie unter einen Umgebungsschutz gestellt worden seien. Hier könnten nun Gärten, Obstbäume oder traditionelle Stallanlagen verschwinden. «Diese Dörfer werden noch toter, als sie es jetzt schon sind.».
Die Bagger müssen kommen
Wieviele der nun bewilligten Baugesuche letztlich auch wirklich realisiert werden, lässt sich derzeit kaum abschätzen. Die Verfasser des Bauindex' gehen davon aus, dass längst nicht alle auch umgesetzt werden. Ähnliches erwartet auch Walter Büchi, der Bauamtsleiter von Vaz/Obervaz. «Fest steht, dass innerhalb eines Jahres die Bagger vorfahren müssen, sonst erlischt die Bewilligung.» Längst nicht überall dürfte es soweit kommen.
Das gilt ab 1. Januar 2013
Die Annahme der Zweitwohnungsinitiative ergänzt die Bundesverfassung seit März um den Artikel 75b. Bis das dazugehörige Gesetz ausgearbeitet ist, regelt ab 1. Januar 2013 eine Verordnung den weiteren Umgang mit Zweitwohnungsbauten. Der Bundesrat schrieb darin unter anderem eine Definition von Zweitwohnungen fest: Als solche gilt, was nicht als zivilrechtlicher Wohnort begründet wird. Die Verordnung
lässt einige Ausnahmen zu: So dürfen auch weiterhin Zweitwohnungen gebaut werden, wenn diese dann von einer professionellen Verwaltung vermietet werden. Erst- und Zweitwohnungen, die vor der Annahme der Initiative gebaut wurden, sind nicht betroffen. Bestehende Erstwohnungen dürfen deshalb unter Umständen auch weiterhin in Zweitwohnungen umgenutzt werden.