Wenn der Bundesrat ins Tessin reist, dann meistens, um freundliche Worte mit der Kantonsregierung zu wechseln. Zu mehr hat es in den vergangenen Monaten selten gereicht. Gestern war es für einmal anders. Zwar waren sich die Tessiner Kantonsregierung und Bundesrat Ueli Maurer auch gestern nicht in allem einig – zum Beispiel, was die Ausgestaltung des Grenzgänger-Abkommens mit Italien betrifft. Aber Bundesrat Maurer war erfreut über die Eigeninitiative des Kantons bezüglich Umsetzung der Masseneinwanderungs-Initiative.
Die Tessiner Schutzklausel
Im Gegensatz zum Modell des Bundesrates will das Tessin die Einwanderung nicht mit fixen Kontingenten regeln, sondern dort, wo es brennt. Steigen in einer Wirtschaftsbranche oder in einer Region die Lohndifferenzen oder die Arbeitslosenzahlen über ein gewisses Niveau, beginnen Massnahmen zu greifen. Es würden dann zum Beispiel inländische Arbeitskräfte bevorzugt.
Der ehemalige Staatssekretär und heutige ETH-Professor Michael Ambühl hat den Vorschlag im Auftrag des Kantons Tessin ausgearbeitet. Mit diesem könnte die Problematik der «Frontalieri» einbezogen werden, die an der Grenze zu Italien immer wieder Sorgen bereitet. Nicht zuletzt deswegen hatten fast 70 Prozent der Tessiner Bevölkerung 2014 für die Zuwanderungs-Initiative gestimmt. Die Schutzklausel des Bundesrates würde die Grenzgänger hingegen nicht erfassen.
Runder Tisch für die Wirtschaft
Ausserdem hat Finanzdirektor Christian Vitta (FDP) einen Runden Tisch einberufen, an dem Lösungen für die Probleme der Tessiner Wirtschaft gefunden werden sollen. Verschiedene Branchen wie die Metallindustrie und der Tourismus leiden unter dem starken Franken.
Mit am Tisch sitzen Vertreter der Gewerbe- und Wirtschaftsverbände, Gewerkschaften sowie die Spitzen der grossen Parteien. Ebenfalls teilgenommen hat der Konzernchef der UBS, Sergio Ermotti, der selber Tessiner ist.
Bereits im Dezember hatte der Grosse Rat ein Wirtschaftsförderungsprogramm von insgesamt 40 Millionen Franken genehmigt. Mit dem Geld sollen in den kommenden vier Jahren KMU, Tourismus und Bergregionen gefördert werden. Zusätzlich wurde ein Programm ins Leben gerufen, um hochqualifizierte Tessiner, die im Ausland arbeiten, wieder zurück in ihre Heimat zu locken. All diese Massnahmen sollen die momentanen Schwierigkeiten der Tessiner Wirtschaft ausgleichen helfen.
Nachdem der Bankenplatz Lugano durch den Strukturwandel und die Aufweichung des Bankgeheimnisses stark geschrumpft ist, fehlen dem Kanton und vor allem der Stadt Lugano Steuereinnahmen. Die Aufhebung des Euro-Franken-Mindestkurses traf besonders kleinere, exportorientierte KMU im Tessin sowie den Tourismus. Auch die anstehende Unternehmenssteuerreform III wird den Kanton Tessin treffen, insbesondere wegen der Abschaffung der sogenannten Spezialgesellschaften.