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Schweiz Gemeinsames Sorgerecht: Droht nun eine Prozessflut?

Seit dieser Woche ist das Gesetz in Kraft, auf das viele geschiedene Väter gewartet haben. Eltern müssen sich ab sofort das Sorgerecht für ihre Kinder teilen. Experten schätzen: Rund 10'000 Väter und Mütter könnten jetzt einen Antrag auf das gemeinsame Sorgerecht stellen.

Seit dem 1. Juli gilt das neue Gesetz: Vater und Mutter teilen sich das Sorgerecht. Sie sind gleichberechtigt, wenn es um wichtige Entscheidungen für ihr Kind geht. Das Gesetz gilt aber nicht nur ab sofort für alle Eltern. Auch für bereits geschiedene Väter und Mütter besteht die Möglichkeit, das gemeinsame Sorgerecht rückwirkend zu beantragen.

Das heisst: Wer in den letzten fünf Jahren bei der Scheidung das Sorgerecht für seine Kinder verloren hat, kann seit Mittwoch bei der Vormundschaft einen Antrag für das gemeinsame Sorgerecht stellen. Das betrifft laut Experten schätzungsweise rund 10'000 Fälle. «Davon werden wahrscheinlich etwa die Hälfte ein Gesuch einreichen», sagt Oliver Hunziker, Präsident des Vereins verantwortungsvoll erziehender Väter und Mütter (VeV).

Er kritisiert zudem die zuständigen Kinderschutzbehörden: «Wir glauben, dass viele von diesen Behörden effizienter arbeiten könnten. Wir glauben auch, dass sie wirklich mehr Personal brauchen, um diese Fallflut zu bewältigen», so Hunziker. Denn wo Kinder involviert sind, sei die Geschwindigkeit etwas vom Wichtigsten.

Gesetz bereits um ein halbes Jahr verschoben

Der Basler Regierungsrat Christoph Brutschin, der im Vorstand der Konferenz der kantonalen Kinderschutzbehörden ist, kontert die Vorwürfe. «Die Vorbereitungen sind deutlich weiter fortgeschritten, als dies noch vor einem halben Jahr der Fall war», sagt Brutschin.

Die Einführung des Gesetzes wurde bereits um ein halbes Jahr verschoben, da die zuständigen Behörden überlastet waren. Nun habe man mehr Personal eingestellt, sagt Brutschin. Zudem müsse man zuerst schauen, wie viele Anträge nun tatsächlich eingereicht werden. «Wir sind zuversichtlich, dass die Gesuche, die kommen, auch speditiv behandelt werden können», so der Regierungsrat.

Alte Konflikte aufreissen schadet dem Kind

Nicht nur die Zahl der Fälle ist eine Herausforderung für die Behörden. Viele Fälle könnten sehr kompliziert zu beurteilen sein und alte Streitigkeiten wieder hervorrufen. «Mir macht Sorgen, dass wieder alte Wunden aufgerissen werden bei Verfahren, die schon eingestellt waren und nun wieder aufgenommen werden», sagt Patrick Fassbind, Präsident der Berner Kinderschutzbehörde. So werde das Kindeswohl wieder mit Füssen getreten, sagt er.

Hunziker, der Präsident der Elternorganisation, hingegen sieht das anders. Es gehe nicht darum, alte Wunden aufzureissen. «Aber die Väter, die sich in der Kindererziehung engagieren möchten, sollen doch auch juristisch dieses Recht zurückbekommen.»

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