Geheimjustiz: Das klingt nach Prozessen und Urteilen, von denen die Öffentlichkeit nie etwas erfährt. Soweit ist es in der Schweiz zwar nicht, aber für den Presserat gibt es Tendenzen in diese Richtung. Ein Dorn im Auge ist ihm besonders das abgekürzte Gerichtsverfahren, das es in der Schweiz seit rund vier Jahren gibt.
Dabei können sich Staatsanwalt und Verteidiger auf eine Strafe einigen, sofern sie nicht höher als fünf Jahre ist. Tatsächlich nehmen solche Deals zu. Der Presserat verweist als Beispiel auf den Kanton St. Gallen, wo schon ein Fünftel der Urteile so zustande kommt. Zwar segnet das Gericht die Deals noch öffentlich ab. Eine herkömmliche Gerichtsverhandlung gibt es aber nicht mehr.
Akteneinsicht bei Kurzverfahren verweigert
Das sei ein Problem für den Gerichtsreporter, sagt der Vizepräsident des Presserates, Max Trossmann: «Dann kann ein Journalist sehr schlecht nachvollziehen, wie dieser Fall überhaupt gelagert ist und zuhanden der Öffentlichkeit rapportieren, ob das Urteil angemessen ist.» Als Beispiel nennt er den Fall des früheren Zürcher SVP-Nationalrats Bruno Zuppiger. Dieser wurde im abgekürzten Verfahren wegen Veruntreuung verurteilt.
Einem Journalisten, der nach der kurzen Gerichtsverhandlung mehr über die Hintergründe des Falls erfahren wollte, wurde die Akteneinsicht verweigert. Problematisch findet der Presserat auch den Umgang mit den Strafbefehlen – das sind Strafen, die direkt der Staatsanwalt ausspricht und die nicht vor Gericht kommen. Journalisten könnten solche Strafbefehle nur begrenzt anschauen, kritisiert Trossmann, und schlägt vor, diese ins Internet zu stellen.
Mehr Urteile werden im Netz veröffentlicht
Das sei kein Problem, findet er: «Man kann das ja mit Anonymisierung und mit Einschwärzen gewisser Stellen lösen.» Bei den Strafverfolgungsbehörden kann man die Kritik, die Justiz werde immer intransparenter, nicht nachvollziehen. Der Zürcher Oberstaatsanwalt Martin Bürgisser sagt: «Ich glaube sogar, das Gegenteil ist der Fall. Zumindest die oberen Gerichte des Bundes und der Kantone sind in den letzten Jahren dazu übergegangen, ihre Entscheide im Internet zu publizieren.»
Alle Strafbefehle – allein in Zürich sind es Zehntausende – ins Internet zu stellen wäre ein unverhältnismässiger Aufwand, findet Bürgisser. Denn dabei gehe es um Bagatelldelikte, die für die Öffentlichkeit in aller Regel uninteressant seien. Bei den abgekürzten Verfahren räumt er ein, dass vor Gericht der Fall nicht mehr ganz aufgerollt wird. Aber auch diese Form der Gerichtsverhandlung sei transparent.
Kontrollinteressen wegen «Mauschel-Makel»
Der Zürcher Strafrechtsprofessor Marc Thommen zeigt mehr Verständnis für die Bedenken der Journalisten. Die abgekürzten Verfahren seien tatsächlich weniger nachvollziehbar. «Dem haftet etwas der Mauschel-Makel an», sagt er. Deshalb bestünden erhöhte Kontrollinteressen. Darum schlägt er vor, die öffentlichen Gerichtsverhandlungen bei solchen Deals wieder etwas auszubauen.
Thommen will, «dass auch ein abgespecktes Beweisverfahren vor Gericht stattfindet, damit für die Personen im Gerichtssaal nachvollziehbar wird, welche Vorwürfe im Raum stehen, und wie diese ans Tageslicht gelangt sind». Das hiesse, dass die Gerichte einen höheren Informationsaufwand betreiben müssten. Das wäre laut Thommen ohne grosse Gesetzesänderungen möglich – und ein Beitrag dazu, dass die Medien ihre Aufsichtsfunktion über die Justiz besser wahrnehmen könnten.