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Schweiz Geschlagen, gezüchtigt, gepeinigt: Die Schuld der Nonnen

Kinder wurden in der Schweiz während Jahrzehnten systematisch den Eltern weggenommen, in Heime gesteckt – und dort von Ordensschwestern teilweise schwer misshandelt. Die «Rundschau» berichtet, dass viele Opfer noch immer auf eine Entschuldigung der beschuldigten Orden warten.

Während Jahrzehnten wurden in der Schweiz Familien systematisch auseinander gerissen, weil die Eltern für die Behörden als «liederlich» und «unfähig» galten, oder weil sie schlichtweg arm waren.

Die Kinder landeten in Heimen, die oft katholisch geführt wurden und in welchen manche Ordensschwestern einen gewalttätigen Erziehungsstil hatten. Die Kinder waren den Täterinnen schutzlos ausgeliefert. Dieses düstere Kapitel wird aber nur auf Druck der Öffentlichkeit aufgerollt, viele Opfer warten immer noch auf eine erste Entschuldigung der beschuldigten Orden und auf die Aufarbeitung ihrer Leidensgeschichte.

Brutale Gewalt der Ordensschwestern

Die «Rundschau» begleitet die ehemaligen Heimkinder Clara Bärwart (76), Otto Zumsteg (76) und Marlies Birchler (66) zurück an die Orte, wo sie ihre schreckliche Kindheit verbringen mussten. Clara Bärwart und Marlies Birchler lebten im ehemaligen Waisenhaus Einsiedeln (SZ). Sie erzählen von physischer und psychischer Gewalt: «Wenn wir abends im Bett lagen kam die Nonne und hat allen Kindern unter die Decke geschaut. Wenn man das Hemd oben am Bauch hatte, wurde man bestraft. Man musste aus dem Bett aufstehen, und in einem Eimer mit kaltem Wasser sitzen», sagt Clara Bärwart.

Marlies Birchler erkennt sogar den Ort, wo sie als Kind im Estrich zur Strafe festgehalten wurde: «Hier oben bin ich stunden-, ja tagelang gesessen. Ich habe mich nur noch einsam gefühlt. Ich hatte das Gefühl, die vom Heim haben mich sogar vergessen. Als wüssten sie gar nicht mehr, dass ich da bin.»

Geleitet wurde das Heim von den Ingenbohler Schwestern. Als die Geschehnisse rund um das Luzerner Kinderheim Rathausen publik wurden, wo Kinder durch schwere Misshandlungen starben, entschuldigten sich die Ordensschwestern öffentlich. 2013 wurde ein Bericht über die Tätigkeiten der Ingenbohler Schwestern in Kinderheimen publiziert. Für die Schwestern ist das Kapitel damit abgeschlossen, auch wenn immer wieder weitere Taten ans Licht kommen.

Otto Zumsteg verbrachte seine Kindheit im Kinderheim Hermetschwil (AG), das von Benediktinerinnen aus Melchtal (OW) geführt wurde.

Zumsteg kämpft heute noch mit den dunklen Erinnerungen aus jenen Tagen: «Ich habe bis 35 gestottert. Wenn ich etwas vor Publikum sagen wollte, musste ich mich umdrehen. Ich habe nichts herausgebracht. Ich habe viel geweint deswegen.»

Er versucht nun sein Leiden durch psychologische Beratung zu verarbeiten. Als er seit fast 70 Jahren wieder vor dem Kinderheim steht, sagt er: «Wenn ich hier durchfahre, spüre ich immer ein Messer in der Brust.»

Benediktinerinnen entschuldigen sich

Die Benediktinerinnen sind bereit, Otto Zumsteg und die «Rundschau» zu empfangen, als sie seine Geschichte hören. Schwester Daniela, die heutige Oberin des Ordens, bittet beim Treffen Otto Zumsteg für die Taten der mittlerweile verstorbenen Schwestern um Verzeihung. Für Otto Zumsteg eine grosse Genugtuung: «Das hilft mir sehr. Ich finde es sehr schön. Es hilft mir abzuschliessen.»

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