Mann und Frau sind gleichberechtigt. Das Gesetz sorgt für ihre rechtliche und tatsächliche Gleichstellung, vor allem in Familie, Ausbildung und Arbeit. Mann und Frau haben Anspruch auf gleichen Lohn für gleichwertige Arbeit.
Dass Mann und Frau gleich zu behandeln sind, steht in der Bundesverfassung. Doch was von oben verordnet wurde, muss von allen Mitgliedern der Gesellschaft getragen werden. Dies ist in der Schweiz aber nur teilweise der Fall. Zu diesem Schluss kommt das Nationale Forschungsprogramm «Gleichstellung der Geschlechter» (NFP 60).
Geschlechterstereotype Vorstellungen dominant
Nationalfonds-Studie
Kinder werden in ihren Werthaltungen schon früh geprägt. Die Studie zeigt: Von Kinderkrippen bis hin zu höheren Schulstufen werden Kindern geschlechtsstereotype Vorstellungen vermittelt.
Nach wie vor sind Praktiken gängig und Lehrmittel im Einsatz, die Kindern «typische» Vorstellungen von «weiblichem» beziehungsweise «männlichem» Verhalten vermitteln. Ein Beispiel: Die Fächer Chemie, Mathematik und Physik gelten als «männlich». Stichproben von Schulbüchern für Naturwissenschaften auf der Sekundarstufe II zeigen bis heute durchwegs Abbildungen von Männern und «männlichen» Attributen.
Neigungen und Interessen der Jugendlichen werden durch normierte Bilder von «Weiblichkeit» und «Männlichkeit» gesteuert. «Untypische» Bildungs- und Berufsorientierungen von Mädchen und Jungen werden demgegenüber zu wenig unterstützt. Besonders junge Männer, die einen «Frauenberuf» wählen, stehen vor besonderen Herausforderungen.
Mit Berufswahl wird Lebensentwurf vorgezeichnet
Jugendliche wählen ihren Beruf immer noch häufig mit Blick auf ihre künftige Rolle als Mutter oder Vater: Knaben sehen sich als Ernährer, Mädchen wählen einen Beruf, der mit Babypausen und Teilzeitarbeit besser vereinbar scheint.
Es ist kein Naturgesetz, dass es die Frauen sind, die ihren Job unterbrechen oder ihr Pensum reduzieren, wenn ein Paar zur Familie wird. Aus der Studie geht deutlich hervor: Wenn sie es weiterhin mehrheitlich tun, dann sehr oft nicht aus freien Stücken, sondern aufgrund ökonomischer und anderer Sachzwänge.
Von Anfang an tiefere Löhne für Frauen
Mitbestimmend ist die Tatsache, dass junge Frauen schon beim Berufseinstieg für gleichwertige Arbeit weniger Lohn erhalten. Aber nicht nur der Lohnunterschied, sondern auch Steuern, Sozialtransfers und Kinderbetreuungskosten beeinflussen den Entscheid der Eltern, wer arbeiten geht und wer die unbezahlte Hausarbeit übernimmt. Zumeist trifft letzteres auf die Frauen zu.
Zudem gibt es für Männer auf dem Arbeitsmarkt bedeutend weniger Möglichkeiten, einer Teilzeitarbeit nachzugehen. Zu sehr gehen Arbeitgeber noch davon aus, dass Männer ihr Leben dem Beruf und der Firma widmen, wie die Forscher bemerken.
Frauen im Alter ungenügend gesichert
Arbeit im Teilzeit- und Niedriglohnbereich sowie im «Care-Bereich» stellen oft prekäre Arbeitsformen dar. Sie bedeuten für viele Menschen eine unsichere Existenzgrundlage – wobei doppelt so viele Frauen wie Männer davon betroffen sind.
Das Nachsehen haben Frauen sodann bei der Vorsorge: Weil Beiträge an die Sozialversicherung an eine Laufbahn ohne Unterbrüche gekoppelt sind, sind vor allem über 50-jährige Frauen schlechter gestellt und für Notlagen nicht genügend abgesichert.
Das wichtigste Mittel zur Existenzsicherung ist in der Schweiz Bildung: Das Fehlen nachobligatorischer Bildung ist das Armutsrisiko Nummer eins.
Einiges wurde erreicht, viel bleibt zu tun
Die Leitungsgruppe des NFP 60 kommt zum Schluss, dass Eltern wie Lehrer sich ihres grossen Einflusses auf die Studien- und Berufswahl der Jugendlichen bewusst sein sollten. Arbeitgeber müssen dafür sorgen, dass alle Arbeitnehmenden neben der Berufsarbeit unbezahlte «Care-Arbeit» erbringen können, ohne deshalb benachteiligt zu werden.
Generell sollten Sozialversicherungen und Sozialhilfe die Vielfalt von Familienmodellen berücksichtigen. Erst wenn man auch mit Teilzeitarbeit eine angemessene soziale Absicherung und Vorsorge erhält, haben Männer und Frauen gleiche Chancen, ihre Existenz zu sichern.