Sie wohnen überall, in der Stadt und auf dem Land, kommen aus unterschiedlichsten Berufen: Menschen, die auf Facebook übelste Beschimpfungen vom Stapel lassen. Trotzdem musste die «Rundschau» lange suchen. Denn Menschen, die im Internet zwar unter eigenem Namen gegen andere hetzen, wollen darüber nicht unbedingt auch im Fernsehen sprechen. Aber JS* tut es.
Unter einem Facebook-Artikel über einen streng gläubig Muslim, schrieb er: «Ich würde ihn noch mit einem rostigen Büchsendeckel kastrieren, damit er nicht noch mehr von der Saubrut züchten kann.» Doch JS sieht das nicht als Hetze oder Hass an: «Wenn man die weichen Worte schreibt, führt das nirgends hin», sagt er.
Von einer Sperrung durch Facebook nicht beeindruckt
Die meisten Bürger würden einfach die Faust im Sack machen, ist JS überzeugt «Ich habe einfach gedacht, dafür ist jetzt Facebook da. Ich kommuniziere nur da. Und ich muss sagen, ich habe grossen Anklang.» Aber dreimal wurde JS bereits von Facebook gesperrt. Das ist ihm egal. Warum er Leute beschimpft? «Weil sie es verdienen», sagt er. «Und wir haben hier Meinungsfreiheit. Dann sage ich, was ich denke. Und nicht, was die anderen gerne hören.»
Doch wer öffentlich hetzt oder beschimpft, kann sich strafbar machen. Opfer können Anzeige erstatten. Das Gesetz gilt auch in der digitalen Welt. Zudem können andere Facebook-Nutzer brutale Kommentare melden, sodass Facebook den Täter 30 Tage lang sperren kann.
Digitale Schlägertrupps
Gehasst werden Flüchtlinge, Minderheiten, vor allem Muslime – aber auch Politiker, die sogenannten Eliten. Auch auf sie zielt die verbale Wut der digitalen Schlägertrupps. «Am Anfang ist das relativ brutal», sagt Nationalrat Cédric Wermuth (SP/AG). Es treffe einem ungefiltert und in einer Härte, die er nicht erwartet hätte. Aber mit der Zeit gehöre es zum Alltag. «Man muss lernen, damit umzugehen», so Wermuth.
Viele Politiker ignorieren die Hasskommentare, um sich zu schützen. Und auch, um ihnen Macht zu nehmen. «Diese Leute sollen nicht das Gefühl haben, dass sie über Politiker triumphieren können, nur weil sie uns unter der Gürtellinie angreifen oder beschimpfen», sagt Nationalrätin Christa Markwalder (FDP/BE).
«Das ist kein Hass»
Doch es sind genau diese Eliten, die Politiker, die HB* am meisten wütend machen: Auch er ist mit drastischen Kommentaren auf Facebook unterwegs. HB beschimpft Politiker als «gottverdammtes Dreckspack», als «hirnlose Verräter», als «elende Bastarde». Für ihn ist das kein Hass. Es sei Ohnmacht. «Man hat zwar das Gefühl, man könne etwas machen. Aber man kann nichts machen», sagt er. Abstimmen helfe nicht, kommentieren nicht – die Politiker kümmerten sich nicht darum. «Das Volk hat die Schnauze voll.» Mehrere Stunden pro Tag verbringt er am Laptop. Seinen Job als Lagerist hat er verloren. «Ich bin schlicht enttäuscht, wenn ich sehe, was unsere Politiker fertig bringen für unsere Leute.»
Angst und Frust
Es ist Angst um die Heimat, Angst vor dem Fremden und Frust. Nährboden für Hass. Die sozialen Medien sind längst Teil der politischen Realität. Sie transportieren Empörung, Propaganda – und trotzdem auch echte Anliegen. «Die sozialen Medien sind unbezahlbar für die politische Kommunikation», sagt Nationalrätin Natalie Rickli (SVP/ZH). Es ermögliche den direkten Austausch mit den Bürgern. «Aber es hat seinen Preis, weil man angegriffen wird und beleidigt.»
Wermuth: Social Media nicht der Ort für Diskussionskultur
Doch nicht nur die Ohnmacht treibt den verbalen Widerstand an. Auch Angst. Die «Rundschau» besucht auch EL*. Sie schreibt täglich bis zu 100 Kommentare. Manchmal einfach, um sich abzureagieren. «Und weil ich nicht alleine bin mit dem Ganzen.» Es seien Tausende, die dasselbe denken. «Aber es getraut sich fast niemand etwas zu sagen. Weil sie Angst haben», sagt sie. Sie fürchte den Islam, getraue sich kaum mehr aus dem Haus. Doch ihre Meinung lasse sie sich nicht verbieten, stehe dazu, was sie schreibe. «Ich dürfte es vielleicht etwas blumiger schreiben. Und nicht so direkt», meint sie.
Facebook kündigte an, Hasskommentare künftig schneller zu sperren. «Ich habe aber wenig Illusionen, was die Kraft von Social Media angeht», sagt Cédric Wermuth. Er stelle keine konstruktive Diskussionskultur fest. «Ich bin enttäuscht über diese Entwicklung und nehme zur Kenntnis, dass dies nicht der Ort ist für politische Diskussionen.»
*Namen der Redaktion bekannt