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Kohlekraftwerk mit einer Rauchwolke, durch die die Sonne hindurchscheint. Daneben im Hintergrund: die Kühltürme von zwei Atomkraftwerken.
Legende: Viele Unternehmen verdrecken die Luft – nicht bei uns, aber da, wo sie den Strom kaufen. Reuters

Schweiz Immer mehr Dreckstrom im Schweizer Netz

Strom aus Kohle und Gas findet sich verstärkt im Schweizer Stromnetz. Schuld daran sind die tiefen Preise an der Strombörse. Die Schweizerische Energiestiftung SES spricht gegenüber «10vor10» bereits von rund 20 Prozent Graustrom im Netz.

Günstiger Strom ist für viele grosse Energieverbraucher in der Schweiz ein entscheidender Produktionsfaktor. 31'000 Betriebe und Energieversorger haben das Recht auf Marktzugang. Sie dürfen ihren Strom auf dem internationalen Markt einkaufen. 54 Prozent davon nutzen dieses Recht bereits. 16 Terrawattstunden Strom werden so am freien Markt erworben, fünfmal mehr als noch vor fünf Jahren.

20 Prozent Graustrom im Netz

Dies ist für die Schweizerische Energiestiftung (SES) kein gutes Signal. «Ich gehe davon aus, dass wir heute bei rund 20 Prozent Graustrom sind im Mix vom Verbrauch in der Schweiz», warnt Felix Nipkow gegenüber «10vor10».

Genauere Zahlen gibt es aus statistischen Gründen immer erst einige Jahre später, doch die Tendenz sei klar erkennbar: «Ich denke, dass der Trend, den man schon 2011 auf 2013 beobachten konnte, sich fortsetzen wird.» Ein leicht ansteigender Trend notabene.

Oft zählt einfach der Preis.
Autor: Daniel Aebli Geschäftsleiter Stahl Gerlafingen

Strom von der Börse ist immer Graustrom. Dieser wird zur Hälfte aus Kohle und Gas produziert, den Rest teilen sich Kern- und erneuerbare Energien. Unabhängig von der eingekauften Strommenge können Unternehmen mit sogenannten Herkunftsnachweisen bestimmte Qualitäten erwerben, zum Beispiel Strom aus Sonne oder Wasser.

Doch es gibt auch da keine exakten Zahlen, wie viele Unternehmen davon Gebrauch machen. Denn oft zählt einfach der Preis, so auch bei Stahl Gerlafingen. 370 Gigawattstunden Strom verbraucht der grosse Schrott-Recycler jährlich, so viel wie eine Stadt rund 90'000 Einwohnern.

Daniel Aebli, Geschäftsleiter Stahl Gerlafingen, sagt: «Sämtliche Mitbewerber von uns kaufen auch da den Strom ein, wo er am günstigsten ist. Das heisst, der Herkunftsnachweis ist untergeordnet.»

SES-Energieexperte Felix Nipkow findet, wichtiger als virtuelle Herkunftsnachweise sei ein realer Ausbau der Sonnenenergie in der Schweiz. Er sieht aber auch für grosse Stromverbraucher Möglichkeiten, den Strom «sauberer» zu machen, beispielsweise mit günstigen skandinavischen Wasserzertifikaten.

Für Stahl Gerlafingen verträgt es keine weiteren Preisaufschläge: «Für uns sind solche Zertifikate keine Option», betont Geschäftsführer Daniel Aebli. Bei den Preisverhandlungen mit den Kunden ginge es um ein, zwei, drei Franken pro Tonne. Da würde es eine Rolle spielen, ob es einen Preisaufschlag für ein Wasserzertifikat gäbe oder nicht.

Volle Transparenz wäre möglich

Exakte Zahlen zu dieser Thematik hat auch das Bundesamt für Energie erst zeitversetzt. Würde sich aber eine grosse Zunahme des Graustroms im Schweizer Netz bestätigen, hätte der Bund Eingriffsmöglichkeiten. «Das wäre eine sogenannte volle Deklarationspflicht», so Beat Goldstein, Fachspezialist Energiepolitik beim Bundesamt für Energie.

Der Bundesrat hat im Januar dazu einen Bericht verfasst und skizziert, wie eine volle Deklarationspflicht umgesetzt werden könnte. «Jeder gelieferte Strom muss belegt sein mit einem Herkunftsnachweis», so Beat Goldstein. Dann erst ist transparent, welcher Strom genau im Schweizer Netz fliesst und wie viel davon aus Kohle, Gas oder Wasser hergestellt wurde.

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