Die Schweizer Ärzte greifen bei ihren Patienten gerne zum Skalpell. Oder aber die Patienten in der Schweiz lassen sich gerne operieren. Wer hier Verursacher ist, lässt sich so klar nicht beantworten. Sicher ist aber, dass die Anzahl Operationen in den letzten Jahren zugenommen hat – und zwar massiv. Das zeigt eine Studie des Online-Vergleichsdiensts Comparis.
Zugenommen haben demnach vor allem die Eingriffe, mit denen sich viel Geld verdienen lässt. So hat sich die Anzahl eingesetzter Knieprothesen zwischen 2003 und 2012 fast verdoppelt: Waren es 2003 noch rund 8700 Operationen, so waren es neun Jahre später bereits rund 17‘000.
Das liege aber nur bedingt an den Spezialisten und Chirurgen, meint Urs Stoffel, Mitglied des Zentralvorstand der Verbindung der Schweizer Ärztinnen und Ärzte (FMH). «Über 90 Prozent der Patienten werden vom Hausarzt oder Rheumatologen zugewiesen.» Der Spezialist habe es deshalb gar nicht primär in der Hand, über die Zahlen zu bestimmen.
Gesundheitsökonom Heinz Locher hält diese Argumentation für vorgeschoben. Denn «ein Grund ist sicherlich das wirtschaftliche Interesse der operierenden Ärzteschaft und der Spitäler». Dazu komme noch der Druck von Seiten der Patienten, die rasch wieder gesunden werden wollen.
Mehr ältere Menschen
Gestiegen sind aber nicht nur die Knie-OPs. Auch die Anzahl Hüftoperationen zeigt steil nach oben. Die Zunahme beträgt rund 31 Prozent. Zählte man vor elf Jahren 16‘700 solche Eingriffe, waren es 2012 rund 21‘900. Auf tieferem Niveau zugenommen haben auch die Operationen für Wirbelkörperverblockungen im Rücken. Dort betrug die Zunahme im gleichen Zeitraum 80 Prozent, von 2429 auf 4380 Operationen.
Was genau hinter dem Anstieg dieser Operationen steht, ist nicht klar. Spitäler und Ärzte sehen darin eine Folge des wissenschaftlichen Fortschritts. Dem stimmt auch Urs Stoffel zu. «Eingriffe sind heute nicht mehr so risikoreich – sowohl auf technischer Ebene als auch auf Behandlungsebene.»
Ein anderer Grund könnte die alternde Bevölkerung sein: Je älter, desto grösser die Wahrscheinlichkeit, ein Gelenk dereinst ersetzen zu müssen.
Höhere Prämien wegen unnötiger Operationen
Nicht zuletzt dürfte die Anzahl Operationen auch steigen, weil viele Eingriffe unnötig sind. So kritisiert Krankenkassen-Experte Felix Schneuwly, dass mit den «menschlichen und finanziellen Ressourcen im Gesundheitswesen» offensichtlich nicht haushälterisch umgegangen werde.
«Das ist besonders brisant aufgrund der Tatsache, dass die Spitalkosten massgeblich verantwortlich sind für die steigenden Ausgaben im Gesundheitssystem.» Am Ende gingen die unnötigen Eingriffe zulasten der Prämienzahler, welche die Operationen indirekt bezahlten.
Für Heinz Locher könne dem Ganzen nur ein systematisches Register einen Riegel vorschieben. Denn dann «kann man mittel- und langfristig beurteilen, ob ein Eingriff sinnvoll gewesen wäre.» Doch diese Kultur der Datenerhebung sei in der Schweiz sehr, sehr unterentwickelt, so der Gesundheitsökonom.