Die Universität St. Gallen, früher bekannt unter dem Namen HSG, gilt als Eliteschmiede für angehende Wirtschaftsmanager. Wer hier ein Studium mit Summa cum laude, der Bestnote, abschliesst, ist auf dem Arbeitsmarkt heiss begehrt. Doch wenn immer mehr ihr Studium mit Bestnoten abschliessen, verliert das vorzüglich abgeschlossene Studium seinen Wert.
Mehr gute Noten als früher
«Uns ist sehr an der Glaubwürdigkeit unserer Abschlusszeugnisse gelegen», sagt Lukas Gschwend, Prorektor an der Universität St. Gallen. «Deshalb gehen wir auch diesen Fällen nach, wo es sein könnte, dass das Anspruchsniveau zu wenig hoch ist», sagt Gschwend. Er wurde stutzig, als er die Notendurchschnitte vor der Bologna-Reform im Jahr 2001 mit den Abschlussnoten des heutigen Bachelor-und Masterstudiums verglich.
«Wir haben festgestellt, dass die Notenschnitte 0.3 bis 0.5 Noten höher sind als damals.» Dass die Studierenden schlauer wurden, glaubt der St. Galler Prorektor der Universität auf dem Rosenberg nicht. Eine Erklärung könnte sein, dass auf der Masterstufe kleinere Stoffeinheiten geprüft werden als vor der Reform.
Die Noteninflation könnte aber auch darin begründet sein, dass gewisse Professoren und Dozierende aus Angst vor Rekursen ihren Studierenden bessere Noten erteilten, sagt Gschwend. «Die Frage stellt sich, ob man sich auf Seiten der Dozierenden unter Druck setzen lässt. Wir nehmen an, dass die Erwartung der Studierenden, gute Noten zu haben, gestiegen ist, auch aufgrund der Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt.»
Nicht nur die Universtiät St. Gallen stellt eine Noteninflation fest, auch an der Universität Zürich an der rechtswissenschaftlichen Fakultät sind die Abschlussnoten bei den Masterstudien seit der Studienreform vor 14 Jahren besser geworden, um fast eine Note.
Grund: Die Studienreform
Für Professorin Christine Kaufmann, Dekanin der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Zürich, liegen die Gründe auf der Hand. Seit der Bologna-Reform können Studierende auf Masterstufe unliebsame Fächer abwählen. «Das hat die Folge, dass in der Regel die Noten besser sind. Dazu kommt, dass wir im Master-Lehrgang Arbeiten schreiben lassen, die sehr eng betreut werden. Wenn wir das richtig machen, dann müssen auch die Noten besser sein.»
Laut einer Studie hat sich an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Zürich im Jahr 2011 die Zahl der Abschlüsse mit summa cum laude verzehnfacht. Doch mit zu nachsichtigen Dozenten, die aus Angst vor Rekursen ihre Studierenden zu gut benoten würden, habe das rein gar nichts zu tun.
Kein allgemeines Problem?
An den anderen Universitäten in der Schweiz will man von zu guten Noten nichts wissen. Auf Anfrage heisst es, das seien spezifische Beobachtungen aus St. Gallen und Zürich, die man an anderen Universitäten nicht feststelle.
In St. Gallen indes verspricht Prorektor Gschwend Abhilfe. Zu gute Noten werde man nicht mehr länger tolerieren. Denn die Uni halte es für unwahrscheinlich, dass eine ganze Gruppe einen hohen Schnitt erzielt.
Die Noteninflation sei bedenklich und habe ungute Folgen. Arbeitgeber müssten aus der Masse der Bewerber mit Bestnoten die wirklich guten Absolventen mit eigenen Tests herausfiltern. Wenn die Noten an Aussagekraft verlieren, suchen Studierende nach anderen Qualifikationen, wie beispielsweise Nebenjobs, um sich auszuzeichnen. Das könnte wiederum eine Studienzeitverlängerung zur Folge haben.