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Pflegepersonal
Legende: Der Inländervorrang im Zuwanderungsartikel wird laut Experten den Pflegebereich vor massive Probleme stellen. Keystone

Schweiz Inländervorrang bei der Pflege – geht das überhaupt noch?

Kontingente für Ausländer und Inländervorrang – so will es die Zuwanderungsinitiative der SVP. Bereits in der Schweiz lebende Menschen sollen also mehr Arbeiten übernehmen. Doch gerade im Pflegebereich dürfte die Rekrutierung schwierig werden. Denn der Inländervorrang gilt bereits.

Um den Zuwanderungsartikel umzusetzen, will der Bundesrat für Ausländer wieder Kontingente einführen. Gleichzeitig sollen Menschen, die bereits in der Schweiz leben, mehr arbeiten: Mütter sollen Teilzeitpensen aufstocken, Senioren die Pension hinausschieben, Junge Ausbildungen nachholen.

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Besonders heikel dürfte es im Pflegebereich werden. 4600 Franken Monatslohn. Einsätze am Wochenende und in der Nacht. Pflegeberufe sind anstrengend, schlecht bezahlt und werden oft von Ausländern ausgeübt. Ein Drittel der 84‘000 Pflegefachleute kommen nicht aus der Schweiz.

Pflegefachleute schlagen Alarm

Klar ist bereits, dass es künftig noch mehr Pflegende braucht, denn die Menschen werden älter und brauchen mehr Betreuung. Klar ist aber auch, dass nach dem Ja zur Masseneinwanderungsinitiative weniger Ausländer in der Schweiz arbeiten werden. Und deshalb will der Bundesrat, dass die Wirtschaft 300‘000 Personen mehr im Inland rekrutiert. Auch die Spitäler.

Von einem «sehr ambitiösen Ziel» spricht etwa Yvonne Ribi, Geschäftsführerin des Verbands der Pflegefachleute. Denn bereits das jetzt benötigte Personal könne kaum ersetzt werden.

Auch beim Spitalverband H+ ist man der Auffassung, dass es sich der Bundesrat zu leicht macht. Viel mehr als bisher könnten die Spitäler bei der Anstellung von Personal aus dem Inland nicht tun, betont Sprecherin Nicole Fivaz. Bereits heute versuchten Spitäler und Kliniken, die offenen Stellen in erster Linie mit inländischem Personal zu ersetzen.

H+: Inländervorrang gilt de facto bereits

Der Vorrang für Schweizer, den die Masseneinwanderungsinitiative fordert, gilt nach den Worten von Fivaz also de facto bereits. Warum aber schaffen es die Spitäler nicht, mehr junge Leute für den Pflegeberuf zu motivieren? «Weil es schon viele sind», sagt Fivaz. Die Ausbildung zur Fachangestellten Gesundheit sei heute die dritthäufigste Lehre in der Schweiz.

Damit dereinst aber vielleicht trotzdem noch einmal mehr Schweizer den Beruf der Pflegefachperson wählen, braucht es laut den Verbänden vor allem mehr Geld. «Ein paar hundert Franken sind hier zu wenig», sagt Pflegefachfrau Ribi. Zugleich müsse es für das Fachpersonal einfacher werden, Beruf und Familie unter einen Hut zu bringen. Eine ganz zentrale Forderung des Verbandes: 24-Stunden-Krippen.

Wie viel kann sich die Schweiz leisten?

Mit dieser Argumentation ist Arbeitsmarktexperte George Sheldon von der Universität Basel einverstanden. Die Frage sei aber, ob sich die Schweiz das alles leisten beziehungsweise die Zusatzkosten verkraften könne.

Nicht nur die hohen Kosten für Personal aus dem Inland machen Sheldon skeptisch. Er zweifelt auch daran, dass es für den Arbeitsmarkt Schweiz genügend Inländer gibt: «Ich weiss nicht, wie beispielsweise die Pharmaindustrie ihren Forscherbedarf durch teilzeitarbeitende Frauen und Rentner decken kann. Das ist die zentrale Fragestellung.»

Seco-Appell an die Wirtschaft

Beim Bund gibt man sich gelassen. Laut Oliver Schärli vom Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) darf man nicht erwarten, dass sich die Ausländer eins zu eins durch Inländer ersetzen lassen: «Es ist unrealistisch anzunehmen, eine geringere Zuwanderung voll kompensieren zu können. Das ist sicher nicht möglich.»

Beim Bund gibt man sich gelassen. Laut Oliver Schärli vom Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) darf man nicht erwarten, dass sich die Ausländer eins zu eins durch Inländer ersetzen lassen: «Es ist unrealistisch anzunehmen, eine geringere Zuwanderung voll kompensieren zu können. Das ist sicher nicht möglich.»

Und ohnehin brauche es Zeit, mehr Inländer anzustellen. Zudem brauche es flexible Kontingente, um nicht auf einen Schlag zu wenige Fachleute in der Schweiz zu haben.

In der Pflicht sieht Schärli nun vor allem auch die Wirtschaft. Diese habe zum Beispiel nicht immer genügend Lehrlinge ausgebildet. Die Unternehmer müssten dazulernen: «Branchen wie das Gast- oder Baugewerbe mit vielen ausländischen Arbeitskräften kommen nicht um neue Strukturen herum.»

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