Saare Yosief fällt auf im Menschengewühl auf dem Berner Bundeshausplatz. Er ist ein grossgewachsener, junger Mann mit gepflegtem Bart und: dunkelbrauner Haut: «Ich fühle mich als Berner. Als Berner mit eritreischen Wurzeln. Und grundsätzlich fühle ich mich als Mensch.» Er fühle sich nicht als Beispiel für eine gelungene Integration. Seine Eltern hätten sich integrieren müssen, er schon nicht mehr: «Ich bin hier geboren und aufgewachsen, ich habe denselben Bezug zu Bern wie alle andern auch. Ich habe nie etwas anders erlebt.»
Für ihn und seine drei Brüder sei die Schweiz nie die neue Heimat gewesen, sondern nur Heimat, sagt der 22-jährige Student. Die erste Flüchtlingsgeneration aber habe es schwer. Das sehe er bei vielen Eritreerinnen und Eritreern, die in den letzten Jahren in die Schweiz geflüchtet sind: «Man muss verstehen, dass diese Menschen von einem ganz anderen Land kommen. Sie haben auch ein anderes Verständnis der Welt.»
Flüchtlinge aus Eritrea stellen seit einigen Jahren die mit Abstand grösste Gruppe von Asylsuchenden in der Schweiz und sie gelten als besonders schwierig integrierbar.
Alle fangen bei null an
Als Beleg dafür wird oft die tiefe Erwerbs- und die hohe Sozialhilfequote herangezogen. Das heisst: Wenige arbeiten, viele beziehen Sozialhilfe. 2013 lebten fast 86 Prozent der anerkannten Flüchtlinge und vorläufig Aufgenommen aus Eritrea mindestens zum Teil von staatlicher Hilfe. Das ist etwas häufiger, wenn auch nicht viel häufiger, als Flüchtlinge aus anderen Nationen.
Vergleiche seien aber wenig sinnvoll, sagt Martin Reichlin vom Staatssekretariat für Migration. Nicht so sehr kulturelle Eigenheiten bestimmten die Sozialhilfequote, sondern die Dauer, die ein Flüchtling bereits in der Schweiz sei. Am Anfang müssten alle bei null beginnen, was dazu führe, dass über alle Nationalitäten hinweg in den ersten Jahren die Sozialhilfequote bei den anerkannten Flüchtlingen und den vorläufig Aufgenommenen relativ hoch sei. «Wir sehen aber auch, dass nach rund zehn Jahren die Hälfte dieser Menschen in den Arbeitsmarkt integriert ist.» Später werden es noch mehr. Zwei von drei Eritreern mit Niederlassungsbewilligung C kommen ohne staatliche Unterstützung aus.
Bildungsferne erschwert die Integration
Ein Arbeitsplatz für Flüchtlinge wäre die wichtigste Spar- und Integrationsmassnahme, da sind sich alle Experten einig. «Der Arbeitsmarkt ist die wichtigste Integrationsmaschine in unsere Gesellschaft», sagt zum Beispiel Samuel Helbling vom Aargauer Volkswirtschaftsdepartement. Gerade bei den Eritreern gestalte sich die Jobsuche aber schwierig. Viele von ihnen seien Bauern ohne für unsere High-Tech-Gesellschaft nützliche Vorkenntnisse.
Im Aargau versuche man jeden einzelnen Flüchtling möglichst gut zu fördern , sagt Helbling, aber das koste Geld - deutlich mehr als die 6'000 Franken Integrationspauschale pro Jahr vom Bund: «Mit dieser grossen Anzahl an Personen aus bildungsfernen Kulturen sehen wir, dass man da viel höhere Beträge veranschlagen müsste.»
Helfen würde auch schon ein Abbau der Bürokratie. Zurzeit brauchen Arbeitgeber, die Flüchtlinge und Vorläufig Aufgenommene anstellen wollen, eine Bewilligung - und die ist oft nur schwer erhältlich. Da könnte künftig eine blosse Meldung reichen, heisst es in einem Papier des Bundesrates. Und möglicherweise verlangt man in Zukunft auch nicht mehr, dass arbeitstätige Flüchtlinge bis zu 10% ihres Lohnes abgeben müssen, um zuvor bezogene Staatsgelder zurück zu bezahlen.
All das kann Flüchtlingen helfen, ihren Lebensunterhalt selber zu bestreiten. Viele werden es trotzdem sehr lange nicht schaffen, einige wohl nie. Ihre Kinder und Enkel aber ganz sicher. Davon ist Saare Yosief felsenfest überzeugt: «Wir Menschen sind anpassungsfähig. Die Kulturen werden sich annähern». Er selbst, der dunkelhäutige Berner, ist dafür das beste Beispiel.