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Schweiz IV-Revision: Schleudertrauma-Patienten besonders betroffen

Die Invalidenversicherung ist dabei, mehrere Tausend Renten zu streichen. So hat es das Parlament bei der letzten Revision beschlossen. Innert dreier Jahre müssen die Dossiers bereinigt sein. Jetzt ist Halbzeit – und es zeigt sich: Viele Betroffene gehen vor Gericht, um ihre Rente zu verteidigen.

Schwierige Zeiten für IV-Rentner: Ihnen droht die Kürzung oder Aufhebung der Rente. So will es die 5. IV-Revision. Betroffen sind meist Menschen, die an einem Schleudertrauma oder an Schmerzkrankheiten wie Weichteilrheumatismus leiden.

Daniela Aloisi von der Zürcher Sozialversicherungsanstalt zieht Zwischenbilanz: «Wir sind im Zeitplan und gut auf Kurs. Zwei Drittel der Fälle sind bereits abgeschlossen. In 300 Fällen musste die Rente aufgehoben oder gesenkt werden.»

Viele müssen auf Rente verzichten

300 Zürcher IV-Rentner hat es also bereits getroffen. Im Aargau sind es über 200. Schweizweit dürften es rund 2000 sein. Oft werden die Renten ganz gestrichen.

Georges Pestalozzi vom Behindertenverband Integration Handicap berät Betroffene: «Einige reagieren fatalistisch, andere kämpferisch. Sie wollen sich wehren.» Es gebe aber auch Leute, die die Stabilität, die sie mit ihrer Rente erlangt haben, wieder verlieren. «Sie geraten in Panik – und ihr Gesundheitszustand verschlechtert sich.»

Rechtsmittel werden ausgeschöpft

Die 5. IV-Revision trifft Menschen, deren Antrag auf eine Rente heute nicht mehr bewilligt würde. Bei Juristen und Politikern hat sich die Meinung durchgesetzt, dass die Betroffenen ihre Krankheitssymptome wegstecken – also damit arbeiten können.

Menschen mit Weichteilrheumatismus oder einem Schleudertrauma verlieren nun ihren Anspruch auf bisherige Renten. Viele wehren sich. «Wir haben auch schon die Erfahrung gemacht, dass sich der Kunde uns gegenüber positiv für die Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt ausspricht. Der Meinungsumschwung kommt aber nach der Konsultation des Rechtsvertreters», sagt Daniela Aloisi.

Rund jeder fünfte Betroffene in Zürich zieht vor Gericht – im Aargau ist es gar jeder Dritte. Rechtsberater Georges Pestalozzi hat festgestellt: Nicht in allen Kantonen sind die Gerichte gleich streng. «Es gibt kantonale Gerichte, die die IV-Stellen eher stützen bei ihren Entscheiden. Andere sind eher kritisch.»

Besonders streng gegenüber IV-Rentnern seien die Gerichte im Aargau und im Kanton Bern. Etwas weniger streng sei Zürich. Doch auch dort rechnet die Sozialversicherungsanstalt damit, dass sie rund zwei von drei Fällen gewinnen wird.

Zweifel an Fairness in einigen Fällen

Ueli Kieser, Professor für Sozialversicherungsrecht an der Universität St. Gallen, beobachtet die Gerichtspraxis. Er sagt: Die IV werde ihr Ziel erreichen und 4500 Renten streichen können. «Die Gerichte heben die Renten reihenweise auf.»

Dem Rechtsprofessor bereitet das Kopfschmerzen. Er zweifelt daran, ob die IV und die Gerichte den Betroffenen in allen Fällen gerecht werden. «Wenn jemand ein solch schwieriges Beschwerdebild hat, dann müsste für die IV-Stelle die Ampel auf Gelb springen. Das heisst, dann müsste man sagen, jetzt müssen wir sehr genau abklären. Heute ist das Bild aber so, dass die Ampel sofort auf Rot springt. Deshalb meine ich, dass es durchaus Fälle dabei hat, wo Unrecht geschieht.»

Fälle in Strassburg hängig

Drei Zürcher Rechtsanwälte haben Fälle von Schmerzpatienten an den Europäischen Menschenrechtsgerichtshof in Strassburg weitergezogen. Das Gebot der Fairness werde verletzt und die Betroffenen würden diskriminiert, argumentieren sie. Bis zu einem Urteil dürfte es Jahre dauern. Die IV-Revision aber, die läuft. Es ist Halbzeit. Die IV streicht Renten. Täglich. Eineinhalb Jahre hat sie noch Zeit.

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