Die Mehrheit der Schweizer Bevölkerung hält die bilateralen Beziehungen mit der EU nach wie vor für richtig. 55 Prozent der Stimmberechtigten sehen in den Verträgen mit der Europäischen Union vor allem Vorteile. Dies geht aus einer Studie im Auftrag von Interpharma hervor, welche die «NZZ am Sonntag» heute veröffentlicht hat. Die Studie wurde vom Forschungsinstitut gfs.bern realisiert.
Es überwiegen die Vorteile
55 Prozent der Schweizer Stimmberechtigten sehen in den Verträgen mit der EU «eher» und «nur» Vorteile. Für 16 Prozente sind die Vor- und Nachteile gleichwertig. Die positive Meinung liege vor allem darin begründet, dass die bilateralen Abkommen mit der EU der Schweiz nach Meinung der Befragten zu Wohlstand und Wirtschaftswachstum verhelfen, schreiben die Verfasser der Studie.
Dokumentation
Negativ ( «eher» und «nur» Nachteile) bewerten 23 Prozent der Stimmberechtigten die Bilateralen. 3 Prozent sehen weder Vor- noch Nachteile und 3 Prozent gaben keine Antwort.
Die negative Sicht auf die Bilateralen bezieht sich laut der Studie vor allem in der Zuwanderung. Die den Verträgen gegenüber kritisch eingestellte Minderheit der Befragten ist der Meinung, dass die Schweiz die Kontrolle darüber verloren habe und die Zuwanderung die Schweizer Sozialwerke belaste.
Junge, Welsche und Tessiner sehen Bilaterale vermehrt kritisch
Die grösste Umfrage zu den bilateralen Verträgen ein Jahr nach der Abstimmung über die Masseneinwanderungs-Initiative zeigt trotz der mehrheitlichen Zustimmung, dass diese zu schwinden droht: Je jünger die Stimmberechtigten, desto weniger Vorteile sehen sie in den Bilateralen. «Nur» Vorteile sehen nur gerade 8 Prozent der 18- bis 29-Jährigen. Bei den 65-Jährigen und Älteren ist dieser Wert mit 17 Prozent doppelt so hoch. «Eher» Vorteile in den Beziehungen sehen mit 43 % hingegen alle Altersgruppen.
Erstaunlich ist allerdings, dass die Skepsis gegenüber den Bilateralen in der bislang als europafreundlich geltenden Romandie stark zugenommen hat und jene in der Deutschschweiz sogar überflügelt. In der Westschweiz sehen nur 48 Prozent der Befragten überwiegend Vorteile, in der Deutschschweiz sind es dagegen 59 Prozent. Insbesondere in der italienischsprachigen Schweiz überwiegt die Sichtweise, eher Nachteile zu erleiden, «eher» und «nur» Vorteile sehen insgesamt 24 Prozent.
Die Entwiclung sei nicht überraschend, denn die Angleichung habe man schon in Volksabstimmungen der vergangenen 10 Jahre gesehen. Dass die Skepsis in der Romandie grösser geworden ist und «umgekehrt ausfällt, das ist hingegen erstmalig», meint Claude Longchamp vom Forschungsinstitut gfs.bern, der die Studie durchgeführt hat.
Gemischte Reaktionen in der Romandie
Mitnichten dürfe man die Ergebnisse dieser Umfrage nach den Vorteilen der bilateralen Verträge als ein Nein zum bilateralen Weg interpretieren, sagen ein Historiker und der Ko-Präsident der Neuen Europäischen Bewegung Schweiz (NEBS).
Der Waadtländer Historiker Olivier Meuwly interpretiert die Studie als eine Ernüchterung in der Romandie: «Einige europäische Länder haben ihren Vorbildcharakter verloren.» So sei etwa Frankreich oft als schlechtes Beispiel bei Volksabstimmungen in der Schweiz genannt worden, und das wirke sich nun aus.
Für Francois Cherix von der NEBS zeigt die Umfrage die Sorgen der Romands über ihre Lebensumstände auf: «Sie sind kritischer geworden gegenüber Europa, weil sie die Job-Situation, die wirtschaftliche Entwickung oder die Wohnungsnot in der Region beunruhigen». Die EU bleibe bei den Romands aber hoch im Kurs, davon sind beide Experten überzeugt. Eine neue Abstimmung über die Bilateralen Verträge ginge problemlos durch.