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Schweiz Kleider aus dem Tessin für Flüchtlinge in Mailand

Seit dem Zweiten Weltkrieg waren noch nie so viele Menschen auf der Flucht wie jetzt, oft auf dem Weg nach Europa oder in die Schweiz. Häufig legen sie ihr Schicksal in die Hände gewerbsmässiger Schlepper. Doch Hilfe erfahren sie auch von Menschen ohne finanzielle Hintergedanken – aus der Schweiz.

An Flüchtlingen verdienen Schlepper ihr Geld. Auch in der Schweiz gibt es solche Netzwerke, welche die Not der Menschen ausnutzen, steht in einem Bericht des Bundesamtes für Polizei. Doch es gibt auch Schweizer, die versuchen, Flüchtlinge vor Schleppern zu schützen und ihnen auf dem Weg zu helfen.

Ziel: Milano Centrale

Lisa Bosia und ihre Freunde aus dem Tessiner Grenzdorf Genestrerio sind solche Flüchtlingshelfer. Sie haben Kleider gesammelt und bringen sie nach Mailand, wo viele Flüchtlinge stranden. «Es sind Kleider, Schuhe, Winterjacken, Mützen und Handschuhe. Das sind die Sachen, die in Mailand momentan am dringendsten gebraucht werden», erklärt Bosia.

Die Tessiner fahren immer wieder nach Mailand mit den benötigten Sachen im Gepäck. Viele Flüchtlinge wollen aber auch die Grenze überqueren.

Keine Hilfe bei der Grenzüberquerung

Ihnen bei der Flucht zu helfen, sei heikel, sagt Bosia. «Wir helfen den Flüchtlingen bei vielen Dingen, die sie brauchen.» Zum Beispiel beim Kauf eines Billlets für Bus oder Zug. «Auch die Polizei weiss eigentlich, dass wir das machen. Aber wir begleiten sie nie direkt beim Überqueren der Grenze.»

Der Bahnhof Milano Centrale ist die Drehscheibe auf dem Weg nach Norden. Viele haben es bis hierher nur durch illegale Schlepper geschafft. «Es reicht, im Bahnhof Milano auszusteigen. Die Schlepper sind hier. Sie warten nur auf solche, die weiterreisen wollen», sagt Bosia. Am Bahnhof ist die Stimmung aggressiv. Ein Schlepper versucht gar, die Filmaufnahmen von «10vor10» zu verhindern.

Frühstück für die syrischen Kinder

Doch hundert Meter weiter warten Familien, Kinder und junge Männer – fast alle vor dem Krieg in Syrien geflohen. Die Kleider werden dankbar entgegengenommen. Die Kinder bekommen ein Frühstück: Sie alle sind schon lange unterwegs, sind müde und erschöpft. Doch die Familien wollen weiter, ein Bahnhof ist keine Endstation.

Jemanden selber im Auto über die Grenze mitzunehmen, ist Bosia zu riskant. «Wir können ihnen nur im Moment helfen. Für die Weiterreise sind sie selber verantwortlich. Wir raten ihnen ab, mit einem Schlepper zu reisen und sagen, sie sollen den öffentlichen Verkehr benutzen.» Doch dort würden sie mehr kontrolliert als mit den Schleppern im Auto.

Portrait von Beat Meiner
Legende: Beat Meiner von der Schweizerischen Flüchtlingshilfe: «Auch in der Zeit der DDR gab es Fluchthelfer.» SRF

«Schweizer Fluchthelfer gab es auch im Zweiten Weltkrieg»

Dass es Leute gibt, die mit ihrer Hilfe weiter gehen als Bosia, weiss jedoch Beat Meiner von der Schweizerischen Flüchtlingshilfe. «Es gibt auch Fluchthelfer in der Schweiz, die Menschen helfen, über die Grenzen zu kommen. Das ist absolut notwendig.»

Flüchtlinge seien auf Hilfe angewiesen. «Das hat man auch im Zweiten Weltkrieg gesehen, da gab es auch Fluchthelfer in der Schweiz. Auch in der Zeit der DDR gab es Fluchthelfer», erinnert Meiner.

Ist Fluchthilfe also auch humanitäre Hilfe? Das braucht Mut, denn schon die Beihilfe zur Flucht oder zur illegalen Einreise ist verboten. Es drohen laut Gesetz Bussen oder sogar Gefängnis.

Mit der Not der Menschen dürfe man kein Geschäft machen, findet Boris Mesaric vom Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement: «Menschenschmuggel ist in jedem Fall strafbar. Wenn es bloss Helfer sind, die nichts daran verdienen, bestraft man dies weniger hart.» Man gehe aber davon aus, dass der grösste Teil der Flüchtlinge Dienste von gewerbsmässigen Netzwerken nutzen. Das wolle man bekämpfen, so der Leiter der Koordinationsstelle gegen Menschenschmuggel.

Flüchtlinge am Bahnhof Milano Centrale
Legende: Wie die Reise für die Kinder und ihre Familien nach der Ankunft in Milano weitergeht, ist oft unklar. SRF

«Brüssel muss sich das anschauen»

Wie die Reise für die Kinder und ihre Familien nach der Ankunft in Mailand weitergeht, ist unklar. Flüchtlingshelferin Bosia spricht mit den Menschen, organisiert Sachen für die Syrer und hört vor allem auch zu.

«Es braucht Aufmerksamkeit von der Gesellschaft», sagt die Tessinerin. Und von den Politikern. Brüssel müsse schauen kommen, was hier passiere, fordert sie, «um mit den Migranten zu sprechen, ihnen in die Augen zu schauen.»

Für die Flüchtlingshelfer ist diesmal die Arbeit getan. Sie fahren wieder zurück ins Tessin. Doch solange Flüchtlinge ihre Hilfe brauchen, werden sie immer wieder hinfahren – mit warmen Kleidern und mit einem offenen Ohr.

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