Fast zwei Jahre lang biss sich der Strassenbaulehrling Michele durch. Dann ging es nicht mehr: «Der Rücken machte nicht mehr mit, und ich bekam Depressionen.» Der heute 22-jährige Zuger beendete eine Lehre, die diesen Namen kaum verdiente.
Egal ob es schneite oder regnete – ich war am Schaufeln, die andern machten Pause.
Wie die «Rundschau» berichtet, wechselten Micheles Lehrmeister ständig. Niemand kümmerte sich um ihn. Stattdessen missbrauchte man ihn als billige Arbeitskraft: «Über ein Jahr lang machte ich nichts anderes als Handsondierungen, also Gräben schaufeln. Egal ob es schneite oder regnete – ich war am Schaufeln, die andern machten Pause.»
Studie deckt Missstände auf
Schlechte Ausbildungsbedingungen sind ein Hauptgrund für die hohen Abbruchquoten im Baugewerbe. Zudem landen gerade auf dem Bau oft Jugendliche, die sonst nirgends unterkommen. Sie brechen bei auftauchenden Problemen die Lehre schneller wieder ab, als solche, die sorgfältig ausgewählt haben. Das sagt eine Studie im Auftrag des Schweizerischen Baumeisterverbands (SBV). 19 Prozent der Strassenbauer brechen laut der Studie ihre Lehre ab. Bei den Maurern sind es sogar 27 Prozent.
Baumeisterverband will Firmen aufrütteln
Der SBV will nun mit einer Kampagne die Unternehmen der Branche aufrütteln. «Die Betriebe müssen jetzt Gas geben, wenn sie weiterhin qualifizierten Nachwuchs wollen», fordert Patrizia Hasler, die Projektleiterin beim SBV. «Das heisst, sie müssen genau prüfen, ob sie sich trotz des Termindrucks auf dem Bau genug Zeit nehmen für die Ausbildung.»
Zudem müssten sie schon bei der Rekrutierung besser hinschauen, ob sich der Bewerber wirklich eigne, sagt Hasler. Mit Workshops für die Ausbildner und Fragebogen für die Lehrlingsauswahl unterstützt der SBV die Unternehmen.
Vorbereitung der Berufswahl verbessern
Berücksichtigt man alle Lehrberufe, werden im Durchschnitt jährlich 10 Prozent der Lehrverträge aufgelöst, schätzt Theo Ninck, der Präsident der Schweizerischen Berufsbildungsämter-Konferenz SBBK. Zu denken gibt Ninck, dass von rund 20’000 Lehrabbrechern etwa ein Viertel keine Anschlusslösung finden.
Ihnen droht der Abstieg zum Sozialfall. «Der Berufswahlvorbereitungsprozess in der Schule ist enorm wichtig, damit die Schüler besser wissen, worauf sie sich einlassen», sagt Theo Ninck. «Wenn die Jugendlichen schon vor Lehrantritt ein realistisches Bild über ihren Lehrberuf haben und über Schlüsselkompetenzen wie Einsatzfreude, Verantwortungsbewusstsein und Pünktlichkeit verfügen, ist das Risiko eines Abbruchs deutlich kleiner.»
Der Chef sagte mir, ich sei einfach eine billige Arbeitskraft. Ausgebildet wurde ich überhaupt nicht.
Zu den Branchen mit den höchsten Abbruchquoten gehört auch die Gastronomie. Jeder dritte Lehrling schmeisst den Bettel vorzeitig hin, so wie die 20-jährige Kerstin. «Der Chef sagte mir, ich sei einfach eine billige Arbeitskraft. Ausgebildet wurde ich überhaupt nicht.» Zusammen mit Kollegen beschwerte sich Kerstin beim Berufsbildungsamt. Das Amt büsste schliesslich den Lehrbetrieb und entzog ihm die Ausbildungsbewilligung.
Erste Erfolge mit «Qualigastro»-Projekt
Kerstin kann nun ihre Lehre in einem Thuner Restaurant fortsetzen. Dieser Betrieb macht mit am Projekt «Qualigastro», mit dem der Kanton Bern die Zahl der Lehrabbrüche senken will. «Qualigastro» verpflichtet die Ausbildner zu regelmässiger Weiterbildung und unterstützt die Betriebe bei Problemen mit den Lernenden. Mit messbarem Erfolg: Im Kanton Bern sank die Lehrabbruchquote in der Gastronomie in den letzten drei Jahren von 30% auf 18%.
Die Teilnahme an «Qualigastro» ist allerdings freiwillig. Gerade Lehrbetriebe, in denen die Ausbildungsqualität besonders schlecht ist, lassen das Projekt meist links liegen.