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Schweiz Mahnmal gibt Einblick in das Leid der Verdingkinder

Das Schicksal der Verdingkinder in der Schweiz soll nicht in Vergessenheit geraten – dazu will ein Zuger Unternehmer mit der nationalen Gedenkstätte in Mümliswil (SO) beitragen. Die Tore des Mahnmals zu einem der dunkelsten Kapitel der Schweizer Geschichte wurden nun geöffnet.

Es ist ein unschönes Kapitel der Schweizer Sozialpolitik: Bis in die 1980er-Jahre wurden Tausende von Kindern weggesperrt, ausgenützt und misshandelt – die sogenannten Heim- und Verdingkinder. Deren Leiden wird in der nun eröffneten nationalen Gedenkstätte in Mümliswil (SO) aufgearbeitet.

Die neue Gedenkstätte soll als Begegnungszentrum, Ausstellungsort und Informationsplattform dienen und die Aufarbeitung der Geschichte der Verding- und Heimkinder ermöglichen. Schulklassen, Private und Gruppen können dort kostenlos Lager, Workshops oder Ausflüge durchführen, um sich mit der Thematik auseinanderzusetzen.

Einsame Opfer in Kinderheimen

Bei der Gedenkstätte in Mümliswil handelt es sich um ein ehemaliges Kinderheim, das umgebaut wurde. Ermöglicht wurde die Umgestaltung durch die Guido-Fluri-Stiftung. Fluri erlebte als Kind selber das Leben in diesem Heim und ist heute millionenschwerer Immobilienhändler.

«Du bisch nüt, Du chasch nüt!»

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Knaben stehend, Heimleiter sitzend
Legende: Paul Senn, FFV, Kunstmuseum Bern, DEP. GKS

Verdingkinder kamen meist aus schwierigen sozialen Verhältnissen. Sie wurden in Pflegefamilien platziert, wo sie zwar Kost und Logis bekamen, dafür aber im fremden Haushalt Arbeit leisten mussten. Oft wurden sie dabei ausgenutzt, diskriminiert und misshandelt. Lesen Sie hier mehr über das Leben und Leiden der Verdingkinder.

Ausgrenzung, Essensentzug und Strafen für kleinste Vergehen seien in solchen Heimen an der Tagesordnung gewesen, schreibt die Guido-Fluri-Stiftung. Häufig sei es zu physischer, psychischer und gar sexueller Gewalt gekommen.

Die Opfer hätten weder Hilfe noch Verständnis erfahren, sondern seien als Lügner, Querulanten und Störenfriede abgetan worden. Erst in den vergangenen zehn bis 20 Jahren hätten die Opfer allmählich Gehör und Anerkennung gefunden.

Gegen das Vergessen und Verdrängen

Auch wenn das Leid der Verdingkinder in letzter Zeit zum öffentlichen Thema geworden sei, seien die vollständige Aufarbeitung und die vollumfängliche Wiedergutmachung noch ausstehend, schreibt die Stiftung weiter.

Die Gedenkstätte sei ein Aufruf gegen das Vergessen, Verdrängen und Wegschauen, sagte alt Ständerat Hansruedi Stadler, der bundesrätliche Delegierte für die Opfer fürsorgerischer Zwangsmassnahmen bei der Eröffnung.

Bemühungen auch auf politischer Ebene

Neben Privaten wie Guido Fluri ist auch die Politik derzeit daran, die Geschichte der Verdingkinder und anderer Opfer fürsorgerischer Zwangsmassnahmen aufzuarbeiten. Hierzu war Stadler im Dezember 2012 vom Bundesrat zum Delegierten ernannt worden. Er soll sich um sämtliche offenen Fragen kümmern.

Justizministerin Simonetta Sommaruga hatte sich am 11. April an einem Gedenkanlass in Bern im Namen der Landesregierung bei ehemaligen Verdingkindern und allen anderen Opfern von Zwangsmassnahmen entschuldigt.

Im Jahre 2010 hatte sich bereits Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf bei Opfern fürsorgerischer Zwangsmassnahmen entschuldigt. Damals ging es in erster Linie um Menschen, die ohne Gerichtsurteil «administrativ versorgt» wurden.

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