Mit der Lebenserwartung wächst auch die Zahl der Demenzkranken. Nach Schätzungen der WHO wird sich die Zahl der Menschen, die weltweit unter einer Form von bislang nicht heilbarem Gedächtnisverlust leiden, bis 2050 auf gut 135 Millionen verdreifachen. Erstmals treffen sich nun in Genf Minister, Forscher und Ärzte zu einer globalen Demenzkonferenz.
Andreas Monsch ist Spezialist für Demenz-Erkrankungen und Leiter der Memory-Clinic am Felix-Blatter-Spital in Basel. Im Gespräch mit SRF News erklärt er den Stand der Forschung und schildert die Herausforderungen, welche auf unsere Gesellschaft zukommen.
SRF News: Wo genau braucht es mehr Hilfe zur Bekämpfung der Krankheit Demenz?
Andreas Monsch: Vor allem in der Forschung. Wir haben immer noch nicht verstanden, wie die Krankheit entsteht und können deshalb immer noch keine sinnvollen therapeutischen Massnahmen vorschlagen.
Die Schweiz hat seit einiger Zeit eine Demenzstrategie. Reicht das, um der Krankheit beizukommen?
Tatsächlich hat die Schweiz eine ganz tolle nationale Demenzstrategie entwickelt. Alle darin vorgeschlagenen 18 Projekte sind sinnvoll. Allerdings wurde mit der Strategie zusammen kein Geld gesprochen. Es liegt also ein sehr gutes Papier vor, das allerdings noch finanziell ausgerüstet werden sollte. Das Parlament hat die Strategie abgesegnet und dem Bundesrat den Auftrag gegeben, sie umzusetzen. Die Finanzierung liegt allerdings in den Händen von Kantonen und Gemeinden. Gewisse von ihnen tun sich nun schwer damit, Geld für Menschen mit Demenz und ihre Familien zu sprechen.
Fachleute in der Schweiz beklagen, dass die Diagnose Demenz oftmals viel zu spät oder gar nicht gestellt wird. Weshalb ist die Diagnostik hierzulande eher mangelhaft?
Die Schweiz ist sicher kein Einzelfall. Die Frühdiagnose einer Alzheimer-Krankheit ist sehr schwierig. Man muss dabei unterscheiden zwischen Veränderungen, die auftreten, wenn man gesund alt wird und solchen, die auftreten, wenn erste Anzeichen einer Alzheimer-Krankheit vorliegen. Die Frühdiagnose wird wahrscheinlich durch zwei Faktoren behindert: Einerseits erleben der Patient und seine Familie die Veränderungen nicht als krankhaft, nehmen sie als altersbedingt normal hin. Andererseits sind die behandelnden Ärzte vielleicht auch ein wenig enttäuscht von den – wie sie glauben – wenigen Möglichkeiten, die es gibt, um Alzheimer-Patienten zu helfen.
Wäre eine frühe Diagnose denn wichtig?
Sie ist enorm wichtig. Nur eine frühe Diagnose erlaubt auch eine frühzeitige Therapie. Dabei gibt es zwei Behandlungsschienen: Einerseits helfen Medikamente dem Gehirn, sozusagen mit dem, was noch vorhanden ist, besser zu arbeiten. Allerdings sind die Erfolge durch Medikamente bescheiden. Sie müssen unbedingt verbessert werden. Andererseits geht es um Gedächtnis-Training für die Patienten sowie die Beratung für die sie begleitenden Angehörigen.
Demenz ist nicht heilbar, man kann den Verlauf der Krankheit auch kaum verzögern: Wo steht man denn heute mit der Demenzforschung?
In den letzten 15 Jahren wurde eine Theorie verfolgt, die davon ausging, dass Eiweiss-Ablagerungen ausserhalb der Nervenzellen im Gehirn für Alzheimer verantwortlich sind. Man hat versucht, diese mittels Medikamenten wegzubekommen. Inzwischen gibt es Verfahren, bei denen man die Bildung von Antikörpern anregt, welche wiederum diese Ablagerungen tatsächlich zum Verschwinden bringen. Allerdings ist es so, dass diese sogenannten Impfungen im klinischen Alltag des Patienten keine Veränderungen gebracht haben, das Gedächtnis kam also nicht zurück. Inzwischen ist unklar, ob diese Ablagerungen überhaupt etwas mit Alzheimer zu tun haben. Es stellt sich die Frage, ob man nicht bei anderen bekannten Ablagerungen innerhalb der Nervenzellen, bei den sogenannten Tau-Ablagerungen – auch dabei handelt es sich um Eiweisse, die entarten – eingreifen soll. Das ist der aktuelle Stand der Forschung. Vielleicht muss man am Schluss beides versuchen.
Sind wir als Gesellschaft genügend auf die erwartete starke Zunahme von Menschen mit Demenz gewappnet?
Nein, sicher nicht. Wir müssen dieses Problem viel ernster nehmen. Es kommt eine riesige Zahl von Demenzpatienten auf uns zu: Wir rechnen mit einer Verdreifachung der Anzahl Fälle bis 2050. Da kommen enormes menschliches Leid und enorme Kosten auf uns zu. Man müsste jetzt massivst in die Forschung investieren, um dieser Krankheit auf die Spur zu kommen und dadurch bessere therapeutische Möglichkeiten zu entwickeln.
Das Gespräch führte Susanne Schmugge.