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Schweiz Menschenrechte: Maurer will Konvention kündigen

Bundesrat Maurer hat der Landesregierung die Kündigung der Europäischen Menschenrechtskonvention beantragt. Linke und Bürgerliche reagieren empört oder mit Unverständnis auf den Vorstoss des SVP-Ministers. Seine Partei verteidigt die Frage als legitim. Es gehe um die Souveränität der Schweiz.

«Schweizer Recht vor fremdem Recht, keine fremden Richter»: Mit diesen Slogans und einer Initiative zum Thema möchte die SVP ins Wahljahr ziehen. Die Initiative sieht auch die Möglichkeit vor, dass die Schweiz die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) kündigen könnte.

Genau diesen Antrag hat die SVP nun auch an höchster Stelle eingebracht: Ihr Bundesrat Ueli Maurer soll im Bundesrat die Kündigung der EMRK beantragt haben. Eine Quelle bestätigt gegenüber Radio SRF einen Bericht der «Neuen Zürcher Zeitung». Die Reaktionen fallen heftig aus.

Gross: «völlige Ignoranz»

«Das ist ein riesiger Skandal», sagt Jo Lang, Vizepräsident der Grünen und Historiker. Denn damit relativiere ein Bundesrat das Fundament der modernen Zivilisation und Demokratie. Dies seien nun einmal die Menschenrechte.

Bundesrat Ueli Maurer im Bundesratszimmer.
Legende: Mit dem Antrag auf eine EMRK-Kündigung trug Maurer das SVP-Programm ins Bundesratszimmer. Keystone/Archiv

SP-Nationalrat Andreas Gross kann sich den Vorstoss Maurers nur mit «völliger Ignoranz» erklären: «Durch absolutes Unwissen, was Recht und Unrecht ist. Durch eine Ignoranz dessen, was Europa in den letzten 100 Jahren gelernt hat und durch eine völlige Überschätzung von sich selber. Wenn man die anderen nicht kennt, kennt man auch sich selber nicht.»

Fehr: Orden verdient

Bundesrat Ueli Maurer spürt sich also selber nicht mehr? Quatsch, tönt es da von rechts. SVP-Nationalrat Hans Fehr, Mitglied der Staatspolitischen Kommission, fordert für Bundesrat Maurer: «Man sollte ihm eigentlich einen Orden verleihen und ihm öffentlich den Dank des Bundesrats aussprechen oder der Bürgerinnen und Bürger der Schweiz. Das wäre eigentlich eine gute Tat.»

Ein Orden für den Antrag auf Kündigung der Menschenrechtskonvention: Mit diesem Wunsch bleiben die SVP-Vertreter allerdings unter sich. Denn Unverständnis kommt nicht nur von links, sondern auch von bürgerlicher Seite. Etwa von BDP-Präsident Martin Landolt, der den NZZ-Artikel für einen Scherz hielt: «Ich dachte zuerst, dass meine Augen mich anlügen und war ehrlich gesagt ein bisschen schockiert.»

Fluri: Neue Dimension

Dass die SVP als Partei eine Kündigung der Menschenrechtskonvention in Erwägung ziehe, sei nichts Neues, sagt FDP-Nationalrat und Jurist Kurt Fluri. Dass ein Regierungsmitglied dies offenbar gefordert habe, sei aber doch eine völlig neue Dimension.

«Wenn wir daran denken, dass die EMRK eigentlich die europäische Grundwertegemeinschaft abbildet, dann bedeutet dies symbolisch gesehen den Austritt aus dieser Grundwertegesellschaft. Und das ist meines Erachtens doch relativ dramatisch.»

Rösti: Antrag nicht aus dem Nichts heraus gestellt

Dramatisch sei doch ganz etwas anderes, kontert SVP-Nationalrat und Wahlkampfleiter Albert Rösti: Denn solange der Gerichtshof für Menschenrechte in Strassburg ständig das Menschenrecht ausdehne, sei das wirklich eine Frage zur Souveränität der Schweiz.

Diese Frage in der Landesregierung aufs Tapet zu bringen, sei daher legitim. Abgesehen davon habe Maurer seinen Antrag gemäss Darstellung der «NZZ» nicht einfach quasi aus dem Nichts heraus gestellt, sondern bei der Beratung eines Berichts zum 40-jährigen Beitritt der Schweiz zur EMRK.

Vorbild Cameron?

Bundesrat Maurers Antrag war im Bundesrat chancenlos: Eine Kündigung der EMRK sei keine Option, betont der Bundesrat in einem Bericht zum Thema, den er gestern veröffentlicht hat.

Allerdings ist Ueli Maurer nicht das erste Regierungsmitglied Europas, das mit einem Austritt aus der Menschenrechtskonvention liebäugelt: Erst kürzlich erwog der britische Premierminister David Cameron, die EMRK zu verlassen.

Richtig ausgetreten ist bislang allerdings erst ein einziger Staat: Griechenland – und zwar vorübergehend während der Militärdiktatur anfangs der 1970-er Jahre.

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