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Männer auf den Knien beim Beten.
Legende: Symbolbild: Gläubige Muslime beten im Berner Haus der Religionen. Keystone

Schweiz Mit dem Dialog der Radikalisierung vorbeugen

Zwei mutmassliche Dschihad-Rückkehrer aus Winterthur sind am Flughafen von den Behörden abgefangen worden. Um ähnlichen Radikalisierungen vorzubeugen, brauche es dringend mehr Angebote für Jugendliche, sagt der Winterthurer SP-Politiker Blerim Bunjaku.

SRF News: Wie kann verhindert werden, dass sich Jugendliche radikalisieren?

Blerim Bunjaku

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Der albanischstämmige Unternehmer Blerim Bunjaku ist SP-Politiker in Winterthur. Der Familienvater und Schulpfleger im Kreis Seen-Mattenbach hat mit seiner Einbürgerungs-App für Schlagzeilen gesorgt. Bunjaku bezeichnet sich selber als «weltoffenen Menschen, welcher in einer nicht-strenggläubigen Familie aufgewachsen ist».

Blerim Bunjaku: Es braucht Kommunikation und Information. Jugendliche müssen über Themen informiert sein und darüber sprechen können. Hier besteht ein Problem: Viele Jugendliche haben niemanden, mit dem sie sprechen können. Ausserdem brauchen sie Informationen, sie müssen aufgeklärt werden. So sollte man an den Schulen allen Jugendlichen den Islam, aber auch die Bibel unterrichten. Die Jugendlichen müssen die verschiedenen Glaubensrichtungen richtig deuten können und nicht allein auf Social Media angewiesen sein. Denn dort ist die Gefahr gross, die erhaltenen Informationen falsch zu interpretieren.

Damit sprechen Sie die Schulbildung an. Eine grosse Verantwortung tragen aber auch die Moscheen. Welche Rolle müssen sie spielen?

Die Verantwortung von Moscheen ist etwas problematisch. Wie die Kirche hat auch die Moschee 24 Stunden geöffnet. Dahinter stehen ein Verein mit freiwilligem Vorstand sowie der Imam. Der Vereinsvorstand kann jedoch nicht 24 Stunden am Tag vor Ort sein. Klar, der Vereinspräsident oder -vorstand hat eine gewisse Verantwortung, welche die Betreffenden übernehmen müssen, die für sie als freiwillige Vereinsmitglieder aber auch tragbar sein muss. Etwas anders ist es beim Imam. Dieser ist angestellt und er erhält einen Lohn. Auch er trägt eine Verantwortung. Wichtig ist es, dass Imame auch Deutsch sprechen und predigen können. Auch müssen sie sich mit der Schweizer Kultur und Mentalität bestens auskennen. Zudem müssen sie Social Media verstehen und die Fragen der Jugendlichen beantworten können – etwa, wenn diese im Internet ein Video gesehen haben. Das ist heute leider kaum möglich. Es gibt derzeit nur eine Handvoll Imame, die auf Deutsch predigen und kommunizieren können.

Derzeit spricht nur eine Handvoll Imame Deutsch.

Die Imame sollen also entsprechend ausgebildet werden und Deutsch sprechen können. Wer soll das übernehmen?

Die Islam-Vereine sind – wie alle Vereine – knapp an Geldmitteln. Sie finanzieren sich durch Mitgliederbeiträge und Spenden. Das reicht kaum aus, um die Imame in Deutsch- oder andere Kurse zu schicken. Man muss hier zusammen mit den Dachverbänden, den Kantonen und dem Staat einen Konsens finden.

Der Staat soll also finanziell einspringen und die Ausbildung von Imamen unterstützen?

Ich sehe das etwas ambivalent: Einerseits fände ich es richtig, andererseits aber auch nicht. Für eine Mitfinanzierung durch den Staat spricht die Tatsache, dass es der ganzen Gesellschaft zugute kommt, wenn die Imame deutsch sprechen, predigen und Auskunft geben können. Andererseits ist es richtig, dass man Staat und Religion trennt.

Sie kennen die islamischen Vereine in Winterthur und haben sie an einen Tisch gebracht. Wie sollte die Jugendarbeit dieser Vereine aussehen, damit sich nicht noch mehr Jugendliche radikalisieren?

Es ist wichtig und richtig, dass wir eine Jugendarbeit haben. Heute wird diese meist von den Kirchen angeboten. Doch es braucht nun nicht eine islamische Arbeitsgruppe, denn die meisten Jugendlichen, die sich radikalisieren, sind nicht strenggläubig. Was es braucht, ist eine bessere Zusammenarbeit zwischen den islamischen Vereinen und der Kirche, es braucht den Dialog aller Religionen. In diesem Bereich ist bereits einiges verpasst worden. Es ist Zeit, dass wir einen interreligiösen Dialog führen. Es braucht gemeinsame Arbeitsgruppen, die alle Religionen umfassen. Die Jugendlichen müssen – egal, welcher Religion sie angehören – eine gemeinsame Anlaufstelle haben, die ihnen bei Fragen Auskunft geben kann.

Das Gespräch führte Roger Aebli.

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