Im Postauto Richtung Passhöhe zeigt Philippe Arnold mal nach links, mal nach rechts. «Es hat Wildbäche, Lawinenzüge, Felswände, Steinschlag. Hier sind alle Naturgefahren auf engstem Raum zusammen», sagt der Geologe vom Bundesamt für Strassen Astra.
Die Nationalstrasse über den Simplon sei insgesamt gut gesichert. Heikel sei aber die Gondo-Schlucht auf der Südseite: «Hier hat es fünf bis sechs Kilometer lang hohe Felswände. Steinschlag ist ein Dauerthema.» Das sei eine Risikozone, denn Felsblöcke könnten direkt auf Autos aufschlagen oder Autos könnten auf heruntergestürzte Steine auffahren.
15 Millionen Franken gegen Naturgefahren
Oben auf dem Simplonpass rechnet der Geologe Philipp Arnold vor: Gegen 15 Millionen Franken pro Jahr investiert allein sein Bundesamt entlang der Nationalstrassen in Dämme zum Beispiel oder Schutznetze gegen Steinschlag. Das reiche aber nicht, sagt er: «Es braucht inskünftig doppelt so viel Investition. Die bestehenden Schutzmassnahmen müssen erneuert werden. Und wir haben mehr Niederschläge, das spüren wir. Das hat seinen Preis.»
Das Bundesamt hat in den letzten sechs Jahren praktisch das gesamte Nationalstrassennetz analysiert. Für jeden einzelnen Abschnitt haben Experten die Gefahr von Steinschlag, Hochwasser, Lawinen und die möglichen Schäden berechnet. Eingerechnet wurden nicht nur Schäden an der Strasse, sondern auch Kosten für Umleitungen etwa und Unfälle. Kommt ein Autofahrer bei einem Naturereignis wie zum Beispiel einem Steinschlag ums Leben, bedeutet das im Rechenmodell einen Schaden von 5 Millionen Franken.
Das sei ein Erfahrungswert, sagt Luuk Dorren. Er ist Dozent für Naturgefahren an der Berner Fachhochschule und arbeitet mit am Projekt des Bundesamts: «Wenn man berechnet, was in den letzten Jahren ausgegeben wurde, kommt man zum Schluss, dass die Gesellschaft bereit ist, ungefähr fünf Millionen Franken auszugeben, um einen Todesfall wegen Naturgefahren zu verhindern.»
Statistisch gesehen würde es sechs Todesopfer geben
Ob tödliche Unfälle oder blosse Schäden an der Fahrbahn. Der Bund hat die zu erwartenden Kosten für die 2000 Kilometer Nationalstrassen gerechnet. Er kam zum Resultat, dass innert 10 Jahren statistisch gesehen ein Schaden von einer halben Milliarde Franken zu erwarten ist. Miteinberechnet sind sechs Todesopfer, die zu befürchten sind.
Um dieses Risiko zu senken, wird das Bundesamt künftig mehr Geld ausgeben für Schutzmassnahmen.
Dazu hat es berechnet, wo ein investierter Franken am meisten bringt, wo sich das Risiko am billigsten senken lässt. Das führt zu überraschenden Resultaten.
In der gefährdeten Gondo-Schlucht etwa lohnten sich zusätzliche Netze oder Hang-Sicherungen kaum, sagt Luuk Dorren. «Da könnte man eine Milliarde investieren und das Ganze betonieren und verankern. Aber selbst wenn man das macht, wird es immer noch Stellen geben, wo etwas herunterkommen kann.»
Walensee-Projekt gestoppt
Umgekehrt rücken Investitionen an eher unerwarteten Orten in den Vordergrund. An der A9 ob Montreux zum Beispiel droht Steinschlag. Menschen aber sind nicht gefährdet, die Steine können die Fahrbahn gar nicht treffen. Allerdings können sie Brückenpfeiler beschädigen. Die Autobahn an diesem Nadelöhr am Genfersee wäre monatelang gesperrt und der Umwegverkehr wäre kompliziert und teuer. Diese Kosten machen Schutzmassnahmen bei Montreux attraktiv und lassen sie nach oben rücken in der Prioritätenliste.
An anderen Orten dagegen stehe der Bund auf die Bremse, aufgrund der neuen Logik, sagt Arnold: «Wir haben ein gutes Beispiel am Walensee. Da wollte man einen grossen Murgang durch einen Geschiebesammler verbauen. Da haben wir gesagt, dass diese Massnahme mit unserem Ansatz nicht kostenwirksam ist. Das Projekt wurde gestoppt.»
Risikoabschätzung
Mehr tun, wo es viel bringt und weniger tun, wo der Nutzen beschränkt ist. Experte Dorren verspricht sich viel vom neuen Kurs. «Ich habe das Gefühl, dass es bei einigen Stellen übertrieben war. Wo ein Block runterfällt, musste ein Netz kommen.» Man müsse sich überlegen, ob es Sinn mache, in ein Netz zu investieren, oder ist das Risiko eigentlich so gering sei, dass man die Natur belassen können, wie sie ist.