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Schweiz 'Ndrangheta im Visier der Bundespolizei

Die Schweizer Behörden ermitteln gegen 10 bis 20 Personen, die mit der kalabrischen Mafia-Organisation 'Ndrangheta in Verbindung stehen sollen. Im Zusammenhang damit stehen die Verhaftungen von zwei mutmasslichen Thurgauer 'Ndrangheta-Mitgliedern in Italien. In der Schweiz wurde niemand verhaftet.

Letzte Woche hatte die Polizei in der süditalienischen Provinz Reggio Calabria 16 Personen verhaftet, darunter zwei Schweizer. Daraufhin haben die italienischen Anti-Mafia-Behörden Rechtshilfeersuchen an die Schweiz gestellt. Das gab Bundesanwalt Michael Lauber in Bern bekannt.

Die Schweizer Polizei ist laut Lauber aber noch nicht in Aktion getreten. «Wir haben in der Schweiz keine Personen verhaftet, die Verhaftungen haben ausschliesslich in Italien stattgefunden», stellte er klar.

Die Festnahmen ermöglicht haben unter anderem Videoaufnahmen einer Sitzung von mutmasslichen 'Ndrangheta-Mitgliedern in Frauenfeld (TG). Diese wurden heimlich von der Schweizer Polizei gefilmt. Die Videoüberwachung war Teil einer zweijährigen Ermittlung.

Seit 1970er-Jahren im Thurgau

Lauber sprach von jahrelangen, aufwendigen Ermittlungen gegen die Gruppe, die offenbar seit 40 Jahren im Raum Frauenfeld ihre Basis hat.

Es handle sich um Schweizer, aber auch italienische Staatsangehörige und Doppelbürger. Diese sollen im Drogen- und Waffengeschäft aktiv sein, allerdings vorwiegend in Italien. «Die Schweiz ist kein mafiöses Land», stellte Lauber fest.

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Aus der heutigen Perspektive sehe er es als Zufall, dass Frauenfeld betroffen sei, sagte Michael Lauber der «Tagesschau». Er denke nicht, dass die Frauenfelder Bevölkerung mehr gefährdet sei oder dort mehr Missbrauchspotential bestehe.

Die Thurgauer Zelle soll ein Ableger einer Verbrecherorganisation aus Fabrizia in der kalabrischen Region Vibo Valentia sein, so die italienische Polizei. Ihre Mitglieder seien in den 1970er-Jahren in den Kanton Thurgau eingewandert.

«Grosszügig informiert»

Dass der Bundesanwalt während der laufenden Ermittlungen überhaupt vor die Medien trat, hat mit der Informationspolitik der italienischen Behörden zu tun. Gestützt darauf waren zahlreiche Berichte über das Verfahren erschienen.

Ob nach dieser offenherzigen Kommunikation der Italiener überhaupt noch Verhaftungen möglich sind, ist ungewiss. Die Verdunkelungsgefahr sei sehr gross, sagte Carlo Bulletti von der Bundesanwaltschaft. «Wir hätten dies anders gehandhabt», sagte er.

Organisation mit Milliardenumsatz

Die `Ndrangheta gilt als mächtigste kriminelle Organisation in Europa – ihr Jahresumsatz von über 50 Milliarden Euro stammt vor allem aus dem Drogenhandel und der Geldwäscherei. Stephanie Oesch, Politologin und Expertin für organisierte Kriminalität, ist über das Video aus der Ostschweiz nicht erstaunt.

Die ‘Ndrangheta habe in den vergangen Jahrzehnten ihre Aktivitäten stark ausgebaut, sagte sie der «Tagesschau». Auf dem europäischen Kokainmarkt habe sie sich als führende Kraft etabliert. Auch in der Schweiz sei eine zunehmende Aktivität der Organisation zu verzeichnen. Die Organisation nutze die Schweiz vor allem als logistische Basis.

Bei der ‘Ndrangheta scheine eine gewisse Selbstsicherheit vorhanden zu sein, so Oesch. Das dürfe aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich die Organisation sehr wohl bewusst sei, dass auch in der Schweiz gegen sie ermittelt werde.

Harter Schlag für Organisation?

Ob die Polizeiaktion im Kanton Thurgau die ‘Ndrangheta geschwächt hat, werde sich noch zeigen. «Es ist sicher davon auszugehen, dass diese Thurgauer Zelle, um die es geht, eine gewisse Schwächung erlitten hat», sagt die Expertin. «Für die globale Mafia indes ist keine starke Schwächung auszumachen.»

Oesch vergleicht das organisierte Verbrechen mit Hydra, einem vielköpfigen, schlangenähnlichen Ungeheuer aus der griechischen Mythologie. «Wenn Sie der den Kopf abschlagen, dann wächst an einer anderen Stelle ein anderer Kopf nach.» Und dieser Kopf könne durchaus auch wieder in der Schweiz nachwachsen.

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