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Schweiz Neue alte Sorgen: Kurden-Konflikt in den Strassen Berns

Wüste Szenen am Samstag in der Hauptstadt: Kurden und Türken werfen Steine, gehen mit Eisenstangen aufeinander los, dann werden Leute angefahren. Zurück bleiben 22 Verletzte. Und die Frage: Springt der Funke von der Türkei weiter auf die Diaspora über? In Bern ist man gewarnt.

Als die Türkei 1999 den Chef der kurdischen Arbeiterpartei PKK verhaftete, gingen Kurden auch in der Schweiz empört auf die Strasse, stürmten die Büros der FDP und des Weltkirchenrats, nahmen Geiseln, warfen Molotow-Cocktails in Geschäfte.

Jetzt kocht der Konflikt zwischen Kurden und Türken wieder hoch – der türkische Präsident Erdogan hat den Friedensprozess mit den Kurden für beendet erklärt. Mit Folgen für die Schweiz: Am Samstag haben Kurden in Bern eine bewilligte Demonstration türkischer Nationalisten torpediert.

Hasim Sancar, grüner Berner Grossrat mit kurdischen Wurzeln, ist zerknirscht. «Was am Samstag geschehen ist, ist nicht gut. Unsere Angst ist, dass sich der Konflikt immer mehr ausbreitet und es auch andernorts zu solchen Vorfällen kommt.» Die Lage in der Türkei gleiche immer mehr einem Bürgerkrieg, sagt Sancar. So lange das so sei, drohten auch in der Schweiz immer wieder türkisch-kurdische Gewaltausbrüche.

Nachrichtendienst ist alarmiert

Das sieht auch der Nachrichtendienst des Bundes so, in seinem Lagebericht 2015 steht, man müsse in Westeuropa mit Anschlägen auf türkische Einrichtungen rechnen. Und zum Thema kurdische Arbeiterpartei PKK: «Weiterhin ist die PKK als gewaltextremistische und terroristische Gruppierung zu sehen, deren Gewaltpotenzial nicht abgenommen hat.»

Beim Nachrichtendienst heisst es, man sei vor der Demonstration am Samstag gewarnt gewesen. Mehr will der Dienst nicht preisgeben – er sagt weder, wie viele radikale kurdische PKK-Mitglieder oder rechtsextreme türkische Graue Wölfe er in der Schweiz vermutet, noch was diese in Zukunft im Schild führen könnten.

Das weiss auch Edibe Gölgeli nicht, Basler SP-Grossrätin mit kurdischen Wurzeln. Allerdings glaubt sie fest daran, dass es nur wenige Radikale gibt, und dass der Schweiz deshalb weitere Gewaltausbrüche erspart bleiben. «Heute sind die Kurden in der Türkei wie in der Diaspora gewählte Politiker und Abgeordnete. Sie haben sich in den Ländern, in denen sie leben, auch sehr gut integriert.»

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Für ganz so rosig hält ein Vorstandsmitglied der türkischen Gemeinschaft Schweiz die Lage nicht. Über hundert wüste Drohungen von Kurden gegen Türken habe er in den letzten Tagen zusammengetragen, sagt der Mann, der anonym bleiben möchte. Wer an der türkischen Demonstration in Bern teilgenommen habe, habe es jetzt schwer. «Sie alle haben Angst, auf die Strasse zu gehen und sich in der Öffentlichkeit zu bewegen», sagt er. Höre das nicht auf, werde man über Strafanzeigen nachdenken müssen.

Bekenntnis zu Gewaltlosigkeit – zumindest in den Medien

Die Basler Kurdin Gölgeli hingegen findet, Strafe gebühre möglicherweise auch der nationalistischen, regierungsnahen türkischen Partei UETD, die die Demonstration vom Samstag organisiert hat. «Ich kenne die Organisation nicht. Aber ich denke, auch dort müsste ein Auge darauf werfen», findet sie.

Die UETD-Vertreter selbst wollen sich im Moment nicht äussern, sagen, sie wollten nicht Öl ins Feuer giessen und seien gegen Gewalt. In dieser Beziehung sind sich Türken und Kurden in der Schweiz – zumindest gegenüber den Medien – ohnehin durchs Band einig: Sie alle wollen Frieden. Finden, Hetze und Gewalt auf beiden Seiten gehörten verurteilt. Und die Türkei müsse schleunigst wieder mit den Kurden verhandeln.

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