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Ein Pfarrer in Schaffhausen bei einer Taufe
Legende: Problem erkannt, jetzt wird gehandelt: Die reformierte Kirche wirft die Rekrutierungsmaschine an. Keystone

Schweiz Neue Hirten braucht das Land

Die reformierte Kirche verliert ihre Hirten, es droht das Szenario: Kein Pfarrer auf der Kanzel. Jetzt kommt die Gegenoffensive: Mit grosszügigen Stipendien sollen Quereinsteiger rekrutiert werden – die ersten Akademiker fühlen sich berufen.

Der Befund ist so klar wie besorgniserregend: In den nächsten Jahren werden mehr Pfarrer pensioniert als ausgebildet. Jetzt sollen Quereinsteiger und -einsteigerinnen für den Pfarrberuf gewonnen werden. Schweizweit, mit einem verkürzten Theologie-Studium.

In Bern haben die ersten im Herbst angefangen mit dem Studium. Die Besonderheit der Berner Rekrutierungs-Offensive: Wer hier auf dem zweiten Bildungsweg Theologie studiert, erhält ein Stipendium – und zwar von der Kirche selber.

Zu Höherem berufen

Simon Bärtschi ist einer der Aspiranten. Man kann ihn sich gut als Pfarrer vorstellen: Seine Worte wählt er mit Bedacht. Theologie habe ihn schon immer interessiert, sagt er: «Schon als junger Maturand war es eine von drei Optionen für mich.» Pädagogik und Psychologie hat er damals gewählt. Jetzt ist Simon Bärtschi 43, und zweifacher Familienvater.

Seinen Kaderjob in der Berner Kantonsverwaltung hat er gekündigt. Er ist zurück im Hörsaal, zusammen mit 16 anderen Quereinsteigern, Frauen und Männern.

die in Bern das verkürzte Theologie-Studium machen. Sie haben alle einen akademischen Hintergrund, sind etwa Notar, Ingenieur, Geographin, Informatiker.

Theologische Schnellbleiche?

Nun büffeln sie Hebräisch, Griechisch, Latein, knien sich in die Entstehungsgeschichte der Bibel. In kürzerer Zeit bewältigen sie den gleichen Stoff wie die regulär Studierenden. Eine Schnellbleiche gegen den Pfarrermangel?

«Nein, ganz und gar nicht», sagt Andreas Zeller, der oberste Berner Protestant.

Sie hätten auch aus den Freikirchen Prediger herbeiziehen können, sagt Zeller: «Dann hätten wir die Lücken rasch geschlossen. Aber das wollen wir nicht. Wir verlangen, dass sich der Pfarrer auf dem akademischen Parkett bewegen kann.»

Diese Ansprüche lässt sich die Berner Kirche auch etwas kosten. Mit Stipendien von 2000 bis 4000 Franken monatlich können die Studierenden rechnen. «Das ist kein Versüssen, wir garantieren ein grundlegendes Minimum.» Wer Unterstützung erhält, muss sich verpflichten, fünf Jahre als Pfarrer tätig zu sein.

Kein Allheilmittel

Für Simon Bärtschi ist dies kein Hinderungsgrund. Auch nicht, dass der Pfarrer, die Kirche insgesamt mit Bedeutungsverlust zu kämpfen hat. Stichwort: Kirchen-Austritte, leere Bänke in den Gottesdiensten. Dazu meint Bärtschi: «Wenn Leute austreten, heisst das, dass sicher nicht alles gut ist. Es heisst aber auch, dass die Menschen sich mit der Kirche beschäftigen und sie ihnen nicht egal ist.»

Für den angehenden Pfarrer ist aber klar: «Ich will kein Pfarrer werden, der seine Dienste nur den Leuten anbietet, die jeden Sonntag in die Kirche kommen. Nach meinem Verständnis gehört jeder, egal wie nah oder weit entfernt von der Kirche, dazu.» Trotz Quereinsteigern wie Simon Bärtschi: Alle Lücken lassen sich so bei den reformierten Pfarrstellen nicht schliessen. Hier und dort wird eine Kanzel leer bleiben.

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