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Schweiz Neue Schadstoffe in Babymilchpulver

Mütter, die nicht stillen, sind auf industriell hergestellte Pulvermilch angewiesen. «Kassensturz»-Analysen zeigen nun: Babymilch enthält zu viele Schadstoffe, die als krebserregend gelten. Ein mögliches Gesundheitsrisiko, mit dem niemand gerechnet hat.

Sie heissen Glycidol und 3-MCPD. Hinter diesen beiden Stoffen verbirgt sich ein Gesundheitsrisiko, das der Lebensmittelindustrie und den Behörden erst seit Kurzem bekannt ist. Vor zehn Jahren haben Forscher diese Stoffe erstmals nachgewiesen. In raffinierten Fetten und Ölen, die Lebensmittelhersteller Backwaren, Süssigkeiten, Chips oder eben auch Babymilch beimengen.

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Nun hat die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit, Efsa, die Risiken für die öffentliche Gesundheit erstmals bewertet. Fazit: 3-MCPD gilt als «möglicherweise krebserregend» und Glycidol als «krebserregend und genotoxisch». Das heisst, schon kleinste Mengen Glycidol können die Genstruktur der Zellen verändern.

«Jede Dosis könnte schon Krebs auslösen»

Bei Babys, die nicht gestillt werden, sei die Situation besonders besorgniserregend, sagt Efsa-Sprecher Marco Binaglia: «Wir gehen davon aus, dass diese ganz kleinen Kinder wohl mehr als die tolerierbare Menge an 3-MCPD aufnehmen. Für Gylcidol gibt es keine erlaubte Maximaldosis. Denn jede Dosis könnte schon ein Risiko sein und Krebs auslösen.»

Säuglinge, die Schoppenmilch trinken, nehmen möglicherweise Tag für Tag zu viel dieser Schadstoffe zu sich. Das belegen Laboranalysen von «Kassensturz» und «A Bon Entendeur». Im Test waren vier Babymilch-Produkte der meistverkauften Marken. Keines hält die Richtwerte der Efsa ein.

Gemessen an der maximal tolerierbaren Tagesdosis, wie sie die Efsa festgelegt hat, nehmen Babys mit der Milch Aptamil Pre Pronutra von Milupa das 3,4-fache an 3-MCPD zu sich. Bei Bimbosan Super Premium 2 ist es das Dreifache der maximalen Tagesdosis und bei der Folgemilch Bio Combiotik von Hipp das Doppelte. Einzig in der Beba Säuglingsanfangsmilch von Nestlé fand das Labor kein 3-MCPD.

Nestlé Beba am stärksten mit Glycidol belastet

Aber: Beba ist dafür jenes Produkt, das am meisten Glycidol enthält. Dieser Schadstoff dürfte gemäss Efsa gar nicht vorkommen in Babymilch. Ebenfalls nachgewiesen wurde Glycidol in den Produkten von Bimbosan und Aptamil. Nur in der Hipp-Folgemilch war dieser Schadstoff nicht nachweisbar.

Karola Krell Zbinden, Geschäftsführerin des Verbandes der Schweizer Babymilchhersteller, sagt, die Industrie habe die Schadstoffe seit deren Entdeckung um 50 Prozent reduziert. Babymilch sei grundsätzlich sicher.

«Wir können die Empfehlungen nicht einhalten»

Zu den Testresultaten räumt sie jedoch ein: «Der Stand heute ist, dass die Empfehlungen der Efsa nicht von allen Produkten eingehalten werden können.» Die Referenzwerte seien neu und man arbeite weiter an einer Reduktion auf Null. Man arbeite auch zusammen mit den Fettherstellern darauf hin.

Nestlé und Bimbosan halten zusätzlich fest, Ihre eigenen Messungen ergeben tiefere Werte. Bimbosan sagt, man liege mit neuen Produkten ohne Palmöl im Bereich der Efsa-Empfehlungen.

Kinderarzt fordert Bund zum Handeln auf

Nun ist die Politik gefordert. Der Chefarzt des Ostschweizer Kinderspitals Josef Laimbacher will einen klaren Grenzwert. Er ist auch Mitglied der Eidgenössischen Ernährungskommission. Er hält fest, dass Säuglinge besonders geschützt werden müssen: «Wenn wir schon Kenntnisse haben, dass so genannt kanzerogene Substanzen in der Säuglingsmilch drin sind, dann hat das eine grosse Bedeutung.»

Noch gibt es für Glycidol und 3-MCPD keine verbindlichen Vorschriften. Die Risikobewertung der Efsa dient der EU nun als Grundlage für die Festlegung von Grenzwerten. Bis Mitte nächsten Jahres wird mit einem Vorschlag gerechnet.

Bundesamt garantiert: Es wird einen Grenzwert geben

Zur hohen Schadstoffbelastung in der Babymilch sagt Vincent Dudler, Leiter Risikobewertung beim Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen: «Wir wollen das absolut korrigieren.» Der Bund will aber den Vorschlag der EU und eine weitere Risikobewertung im Rahmen der WHO abwarten.

«Wir haben keinen Grund an der wissenschaftlichen Bewertung der Efsa zu zweifeln. Meiner Meinung nach werden sich die Grenzwerte in dieser Grössenordnung bewegen», sagt Vincent Dudler. Beim Festlegen der Grenzwerte spielten aber nicht nur gesundheitliche, sondern auch politische und ökonomische Risiken eine Rolle. Aber er hält fest: «Ich garantiere, dass es einen Grenzwert geben wird.»

Was sollen Eltern tun?

Für Eltern ist die Situation unbefriedigend. Trotz Schadstoffen sind viele auf Babymilch angewiesen, wenn die Mutter nicht stillen kann. Alternativen gibt es derzeit keine. Raffinierte Fette verwenden alle Hersteller auf dem Markt. Fachleute aus dem Ernährungsbereich raten, nicht in Panik zu verfallen. Auf Grund der neusten Erkenntnisse auf Babymilch zu verzichten wäre falsch.

Wie gelangen die Stoffe ins Speise-Öl?

Bereits bei Anbau Ernte und Transport für Rohöl können problematische Stoffe, so genannte Triggerstoffe, entstehen. Relevant ist auch die erste Verarbeitung zum Rohöl in der Presse. Von da gelangt das Rohöl in die in die Raffinerie, in die Reinigung zb. in der Schweiz. Da wird das Rohöl erhitzt und mit Zugabe weiterer Substanzen wie zum Beispiel Wasserdampf, Chloride, Säure entschleimt, neutralisiert, gebleicht und geschmacklich neutral gemacht.

All diese Prozesse sind entscheidend für die Entstehung der unerwünschten gesundheitsgefährdenden Substanzen 3MCPD und Glycidol. Glycidol und 3-MCPD kommen im Fett in Form von Estern vor. 3-MCPD- und Glydcidyl-Ester werden im Körper zu 3-MCPD und Glycidol umgewandelt.

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