Mitte Jahr ging die Unabhängigkeitspartei (up!) in den Kantonen St. Gallen, Thurgau und Zürich an den Start. Letzte Woche wurde in Zürich die erste Kantonalsektion gegründet. Die Partei hat sich Eigenverantwortung und minimales Eingreifen des Staates auf die Fahne geschrieben und stellt selbst die Bilateralen in Frage.
Dazu trat im Oktober die europafreundliche politische Bewegung «Operation Libero» von jungen Akademikern auf den Plan, die sich ebenfalls der Rettung des liberalen Gedankenguts verschrieben hat. Sie setzt den Schwerpunkt bei persönlichen Freiheitsrechten wie der freien Gestaltung des Lebens und der rechtlichen Gleichstellung von Beziehungen.
Renaissance des Freisinns?
Laut dem Politologen Michael Hermann ist es noch zu früh, als dass man nach Jahren des Niedergangs von einer Wiedergeburt des Freisinns sprechen könnte. Die Unabhängigkeitspartei habe nun eine erste Gründung in Zürich, sei aber noch nicht bei Wahlen angetreten. Die «Operation Libero» wisse noch gar nicht, ob sie dereinst zu einer Partei werden oder eine Bewegung bleiben wolle.
Beiden neuen Bewegungen sei ein grosses Interesse am liberalen Gedankengut eigen, beide grenzten sich ein wenig von der FDP ab und seien trotzdem sehr unterschiedlich, merkt Hermann an. So vertrete die «Operation Libero» eher eine klassisch staatspolitisch progressiv-freisinnige Haltung, die sich explizit gegen die SVP abgrenze und eher linksliberal sei. Die Unabhängigkeitspartei sei eher am rechten Rand der FDP anzusiedeln und eifere dem amerikanisch-libertären Gedankengut nach, wo es vor allem um Staatsabbau gehe.
«Liberales Vakuum»?
Wie sind die Chancen der neuen Bewegungen zu bewerten, die der FDP gleichsam vorwerfen, vom rein liberalen Weg abgekommen zu sein? Politologe Hermann stellt dazu fest, dass die FDP in den letzten Jahren ihre Wähler vor allem an die SVP und die Grünliberalen verloren habe. Letztere sei beiden neuen Organisationen deutlich zu wenig liberal.
Zugleich ist laut Hermann das Bedürfnis nach liberalen Parteien geringer geworden, was sich auch bei politischen Debatten zeige: «Eine eigenständige liberale Position, die nicht einfach zwischen links und rechts ist oder nur eine gemässigte SVP, kennt man immer weniger. Die entsprechenden Milieus sind einfach nicht mehr so stark.» Dass nun neue liberale Bewegungen auftauchten, hänge wohl vor allem mit der Unzufriedenheit über die stark durch die SVP geprägte politische Situation zusammen.
Neue Gefahr für die FDP?
Die Perspektiven der neuen Bewegungen schätzt Hermann je nach Zielsetzung unterschiedlich ein: Wenn es darum gehe, als Parteien Wähler im grossen Stil zu gewinnen, seien die Aussichten nicht gut. Denn da grabe man sich gegenseitig das Wasser ab: «Sie würden dann vor allem der FDP Stimmen wegnehmen und den liberalen Pol eher schwächen als stärken.»
Als grosse «Wählerfangbecken» sieht Hermann deshalb die neuen Bewegungen nicht. Eine mögliche Rolle sei aber jene von Think Tanks, die als Vordenker den künftigen liberalen Weg ausloten und damit einen Beitrag zur Debatte leisten. Denn hier gebe es tatsächlich ein Vakuum.