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Ein Mutterschaf mit zwei Lämmern.
Legende: Das Spritzen von Lebern junger Schafe ist ein lukratives Geschäft. Keystone

Schweiz Organe junger Tiere sind begehrt

Durch das Injizieren oder Schlucken von Leberextrakten etwa von jungen Schafen versprechen sich viele Menschen ein längeres Leben. Jahrelang waren so genannte Frischzellenkuren ein gutes Geschäft für Privatkliniken am Genfersee – auch weil die Behörden wegschauten.

Mixturen aus Schafsföten oder tierischer Plazenta sind kostbar: Mindestens 30'000 Franken verlangen die exklusiven Kliniken am Genfersee für ihre Rezepturen, die angeblich die Gesundheit wiederherstellen. Besonders in China boomt das Geschäft.

Schweizer Botschafter schlägt Alarm

Der frühere Schweizer Botschafter in China, Blaise Godet, erinnert sich, dass 2011 in Peking mehr als 700 Visa für Frischzellentherapien ausgestellt wurden. Deshalb habe er die Alarmglocke betätigt. Doch aus Bern kam keine Hilfe.

Bundesamt für Gesundheit, Swissmedic, Aussendepartement, Wirtschaftsdepartement und Bundesamt für Migration wälzten das Problem hin und her. Gestützt auf das Öffentlichkeitsprinzip erhielt Radio RTS den Mailverkehr. Swissmedic vertrat in der Diskussion die Ansicht, die Transplantation von lebenden tierischen Zellen sei verboten. Gegen die in China beworbenen Frischzellkuren mit nicht-lebenden tierischen Zellen allerdings könne man nichts unternehmen, weil da die Hoheit bei den Kantonen liege.

Bund schaut weg

Das Ergebnis daraus: der Bund empfahl der Botschaft in Peking wegzusehen, die Angebote für Frischzellkuren in der Schweiz weder zu bewerben noch davor zu warnen. Erst wenn die Therapien für einen Skandal sorgten, würde man sich als letzte mögliche Massnahme einen Visa-Stopp überlegen.

Blaise Godet war als Schweizer Botschafter mit dieser Antwort gar nicht einverstanden. Es sei schon damals klar gewesen, dass eine Behandlung mit Frischzellen, die schlecht ausginge, den Ruf der Schweiz als zuverlässiger Partner stark schädigen würde.

Hunderte Visa für chinesische Medizinaltouristen

«Die Schweiz reagiert oft zu spät, wenn der Schaden bereits angerichtet ist», sagt Godet. Von 2012 bis 2014 stellte die Schweizer Botschaft jährlich Hunderte von Visa für Frischzellkuren aus. Reisen für umgerechnet 50'000 bis 70'000 Franken, bei denen einer reichen chinesischen Kundschaft eine Verjüngungskur in Form einer Spritze mit Frischzellen versprochen wurde.

Ein riskantes Geschäft, warnt der Sprecher der Heilmittelstelle Swissmedic, Peter Balzli: «In Deutschland gab es mehrere Todesfälle wegen Frischzellentherapien. Deshalb wollte man in der Schweiz mit aller Härte einschreiten, bevor auch hier ein Todesfall passiert.»

Mehrere Strafverfahren eröffnet

Ende 2014 verlangte Swissmedic von 35 Schweizer Kliniken Rechenschaft über ihre Mixturen und Praktiken, in mehreren Fällen wurden daraufhin Strafverfahren eröffnet. Als Basis für das harte Durchgreifen diente das Heilmittelgesetz von 2010. Swissmedic hielt jedoch noch 2012 schriftlich fest, dass Frischzellenkuren legal seien. «Es ist so, dass es immer eine Weile dauert bis ein neues Gesetz greift. Bis 2010 wusste der Bund ganz einfach noch zu wenig über diese Therapien», erklärt Balzli.

In Unkenntnis dessen, was da am Genfersee alles gespritzt wurde, gab Swissmedic also zunächst irrtümlich Entwarnung. Jetzt aber soll das riskante Geschäft unterbunden werden. In China allerdings läuft gemäss Recherchen von RTS die Kundenakquise weiter. Gelingt es den Behörden also nicht, das Geschäft zu stoppen? «Wir werden überall einschreiten, wo wir klare Hinweise haben, dass die Gesetze verletzt werden», entgegnet Balzli.

Und was sagt Blaise Godet, der den Politikwechsel bewirkt hat? «Nur Dummköpfe ändern ihre Meinung nie.» Er sei sehr zufrieden, dass Swissmedic seine Politik geändert habe und nun gegen diese zweifelhaften Therapien vorgehe.

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