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Kämpfer der Nusra-Front südlich der Stadt Idlib (Dezember 2014)
Legende: Kämpfer der Nusra-Front südlich der Stadt Idlib (Dezember 2014). Reuters

Schweiz Per Mausklick in den Heiligen Krieg

Über das Netz werben Rekrutierer der Terrororganisationen Al Kaida und Islamischer Staat Zöglinge für den Krieg an. Aus europäischen Grossstädten ziehen diese dann in den Krieg.

Die Stellenanzeige gefiel dem jungen Schweizer Gleitschirmlehrer: «Ort: Syrien. Berufsbezeichnung: Mudschahed – Kämpfer im Heiligen Krieg. Arbeitgeber: Allah. Gehalt: Höchste Stufe im Paradies». Gefunden hatte der Konvertit sie auf der Facebook-Seite eines französischen Muslimen: «Komm’ in den Dschihad, wenn Du das Paradies suchst», hatte Abu al-Hassan unter ein Bild geschrieben, das bis an die Zähne bewaffnete Krieger unter der Fahne der Terrororganisation «Islamischer Staat» (IS) zeigte.

Französische Ermittlungsbehörden sind überzeugt, dass Abu al-Hassan einer der aktivsten Rekrutierer in Europa war, der für den Dschihad warb. Zumal er den Weg ins angepriesene Paradies für Interessenten so einfach wie möglich gestaltet hatte: Das Stellenangebot in den Kriegsgebieten Syriens war praktischerweise mit der Website einer türkischen Fluggesellschaft verlinkt, über die Interessierte wie der junge Mann gleich die Reise nach Antakya ins türkisch-syrische Grenzgebiet buchen konnten.

Von wartenden Schleppern und suchenden Männern

Die Stadt ist – neben der Grenzstadt Kilis – zu einem Mekka für Dschihad-Reisende aus der gesamten westlichen Welt geworden. Rund um den Basar in der Stadtmitte warten Schlepper auf die, die den Weg in den Krieg suchen. Beäugen die Männer aus Stuttgart, Kirchheim unter Teck und Dinslaken ebenso wie Dschihad-Reisende aus Genf oder Brüssel.

Eines der beiden Einfallstore nach Syrien liegt 46 Kilometer von Antakya entfernt im Osten. Die Grenzstadt Reyhanli platzt aus allen Nähten. Einheimische, Flüchtlinge, Verletzte mit blutigen Verbänden um den Kopf, die Arme oder die Beine. Zwischendurch immer wieder kleine Gruppen junger Männer, die die Läden des Basars nach tarnfarbenen Hosen und oberschenkellangen Oberteilen oder Holstern für Pistolen durchstöbern.

Auf vielen Balkonen schaukeln ausrangierte deutsche Bundeswehruniformen oder britisches Wüstendrillich an den Wäscheleinen im Wind. Freitags zum Mittagsgebet platzt die Moschee in der Strasse der Republik aus allen Nähten. Dann halten die Rekrutierer des IS wie auch die der Al Kaida Ausschau nach neuen Zöglingen.

Die kritische Phase des Kämpferlebens beginnt

Sowohl der IS wie auch die Al-Kaida-Filiale Jabhat al-Nusra durchleuchten die neuen Rekruten penibel. Stellen fest, ob sie in den Gemeinden in Deutschland und der Schweiz bekannt sind, aus denen sie angeblich stammen. Befragen Glaubensbrüder der Terroranwärter nach deren Gesinnung, Glaubensfestigkeit, Radikalisierung. So, ist der britische Terror-Experte Shiraz Maher überzeugt, «soll vermieden werden, dass Spione oder Maulwürfe in die Organisationen eingeschleust werden».

Werden solche enttarnt, droht ihnen ein inzwischen ebenso bekanntes wie abscheuliches Schicksal: Ihnen schneiden die Extremisten die Köpfe ab oder exekutieren sie am Strassenrand. Bilder, die die Rekruten in Syrien begleiten werden. Selten ist eine Strecke von mehr als fünf, sechs Kilometer im Nordwesten des Landes zu überwinden, ohne das ein Geköpfter am Strassenrand oder auf einer Verkehrsinsel sitzt. Den Kopf zwischen die Oberschenkel gelegt. Um den Oberkörper ein Schild, auf dem die Vergehen des Toten aufgeführt sind: Ehebruch, Feigheit, Fahnenflucht.

Auf der Flucht

Diese gelang dem Briten Salafi Yusuf im Dezember 2013. Während eines Gefechtes nahe Aleppo setzte sich der 22-jährige aus einem Kampfverband des Islamischen Staates ab und lief zur Freien Syrischen Armee (FSA) über. Den als moderat geltenden Rebellen berichtete der junge Mann, wie er im Ausbildungslager Atmeh nahe der Grenze zur Türkei fit für den Kampf in den Ruinen der Dörfer und Weiler rund um die nordsyrische Metropole gemacht wurde.

Die Ausbilder hätten die Rekruten durch mit Granatapfelbäumen bewachsenen Hügel joggen lassen. Auf improvisierten Schiessbahnen sei mit Kalaschnikow-Gewehren auf Steine, Bäume und selbst gebastelte Pappkameraden gefeuert worden. Sprengstoff hätten die Terrorschüler aus Chemikalien selbst zusammengerührt. Fünf mal am Tag hielten die Rekruten inne, um zu beten. «Nach den vier Wochen hatte ich das Gefühl, körperlich wie geistig bereit für den Kampf zu sein.»

Ernüchterung und Umkehr

Die Kooperation

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Journalisten der deutschen Tageszeitung «Stuttgarter Nachrichten» und des SRF rechercherien, wie die salafistische und dschihadistische Szene in Baden-Württemberg und der Schweiz zusammenwächst. Sie haben Moscheen besucht, mit Rückkehrern aus dem Mittleren Osten gesprochen und sind radikalisierten Muslimen in die Kriegsgebiete in Syrien gefolgt.

Wer sich in den Gefechten geschickt anstellt, wird befördert – und weiter ausgebildet. In speziellen Trainingscamps drillen Al Kaida und der IS Scharfschützen, Sprengstoffexperten und Nahkämpfer. Vor allem für die Kämpfe in den Städten Aleppo, Idlib und Damaskus. Aber, ist sich Yusuf sicher «auch für den Einsatz in ihren Heimatländern. Solche Leute sammeln in Syrien nur Kriegserfahrung».

In Gefechten, die viele Dschihadis ernüchtern. Yusuf berichtet von Häuserkämpfen, «in denen extrem viele meiner Mitkämpfer starben». Von tückischen Sprengfallen, die seine Kameraden in Fetzen rissen. Er beschreibt oftmals planlose Angriffe, die «ein Kommandant anführte, der keinerlei Ahnung von militärischen Dingen, dafür aber auf jede Glaubens- und Lebensfrage eine Antwort hatte». Der sogar die Frage klärte, ob taktische Absprachen über Funk mit dem Koran vereinbar gewesen sei oder nicht.

Der Schweizer Dschihad-Reisende erzählte nach seiner Rückkehr in die Schweiz, ihn hätte entsetzt, dass der IS Krankenwagen benutzte, um Selbstmordanschläge zu begehen.

(«Rundschau», 04.03., 20.55 Uhr)

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