Der Kanton Tessin prüft Massnahmen im Umgang mit selbstständigen und entsendeten italienischen Arbeitern. Baudirektor Michele Barra hat Vorschläge für verstärkte Kontrollen präsentiert. Mit einer komplexeren Meldepflicht will er negative Konsequenzen für die Wirtschaft eindämmen.
Eine von Barra privat in Auftrag gegebene Studie zeigt: Die Zahl der selbstständigen und entsendeten italienischen Arbeiter im Tessin liegt im laufenden Jahr um rund 65 Prozent höher als im Jahr 2012.
Barra befürchtet Verdrängung von Tessinern
Im Vorjahr habe es rund 21'000 Meldungen gegeben. Rund 9'300 Arbeiter davon seien im Baugewerbe tätig gewesen. Rund 8'400 Personen der 21'000 hätten vorübergehend eine Beschäftigung bei einer Schweizer Firma gehabt. Der Trend sei besorgniserregend, sagte der Lega-Politiker Michele Barra. Tessiner Handwerker würden immer mehr verdrängt.
«Das Meldeverfahren dieser Arbeitskräfte muss geändert werden. Anstatt sich Online beim Staatssekretariat für Wirtschaft SECO anzumelden – wie bis anhin – sollen sie sich zukünftig über ein Formular direkt bei den Tessiner Behörden anmelden. So wird die Kontrolle viel einfacher.» Dies eine konkrete Forderung Barras. Er war bis im Frühling dieses Jahres selbst noch Bauunternehmer.
Ausserdem verlangt er, dass italienischen Selbstständige die Schweizer Mehrwertsteuer auch zahlen müssen, wenn ihr Umsatz unterhalb von 10'000 Franken liegt.
Staatsrat kritisiert Barras Alleingang
Seine Vorschläge sollen in einen komplexen Bericht zum Thema Grenzgänger einfliessen, der von der Regierung bis Ende August erstellt wird. Dass Barra mit einer Studie und einer Pressekonferenz zum delikaten Thema im Alleingang voraus preschte, gefällt seinen Kollegen von der Regierung nicht.
Staatsratspräsident Paolo Beltraminelli hatte schon in den Vortagen seine Überraschung darüber ausgesprochen und die Methode kritisiert. Barra sagte dazu, er sehe keine Gefährdung der Kollegialität. Das Thema liege ihm als ehemaligen Bauunternehmer nun mal am Herzen.
Zur Pressekonferenz eingeladen waren auch etliche Vertreter der Baubranche. Barras Vorschläge und seinen Aufruf, dass Tessiner Firmen und Private aus sozialer Verantwortung doch möglichst nur ansässige Handwerker beauftragen sollten, quittierten sie mit einem kräftigen Applaus.
Der Schweizerische Baumeisterverband unterstützt die Initiative, auch wenn mit gewissen Vorbehalten: «Ich glaube, dass Barras Ideen gut sind. Sie reichen jedoch bei weitem nicht aus. Man muss ein Massnahmenpaket erarbeiten, um das Phänomen zu stoppen», sagt Vittorino Anastasia, Direktor des Schweizerischen Baumeisterverbandes Tessin.
Die Gewerkschaften ihrerseits hoffen dank den Kontrollen vor allem auf fairere Löhne. Denn heute werden laut den Gewerkschaftsvertretern die italienischen Arbeitskräfte auf dem Bau zu Dumpinglöhnen angestellt.