Bekannt wurde Anita Chaaban vor zehn Jahren, als ihre Verwahrungsinitiative angenommen wurde. Jetzt kämpft die Ostschweizerin erneut mit einer Volksinitiative für eine härtere Gangart gegenüber Straftätern. Im Visier hat sie nun die Behörden. Wenn diese einen Täter frühzeitig entlassen oder ihm Hafturlaub gewähren, sollen sie persönlich dafür haften, wenn dieser rückfällig wird.
Nicht therapierbare Gewalttäter für immer wegsperren: Das wollte die Verwahrungsinitiative. Und doch geschieht es immer noch: Gefährliche Täter kommen frei und werden rückfällig - in den letzten Jahren gleich mehrfach. Die Verwahrungsinitiative werde kaum umgesetzt, stellt Anita Chaaban daher fest. «Es werden nicht mal normale Verwahrungen angewendet. Die meisten Täter kommen in eine Therapie.»
In den letzten zehn Jahren sei einfach viel zu viel passiert, sagt sie. «Es hat zu viele Opfer gegeben durch Fehlentscheidungen.»
Für Fehlentscheide haften
Zehn Jahre nach Annahme der Verwahrungsinitiative schiebt Chaaban daher nun die Haftungs-Initiative nach. Das Ziel: Werden Täter auf freiem Fuss rückfällig, sollen die zuständigen Personen bei den Behörden für Fehlentscheide, persönlich haften. Im Extremfall sollen sie ihr Amt oder ihren Job verlieren. Anita Chaaban will so erreichen, dass «vorsichtiger gearbeitet wird, dass man nicht zu schnell Hafturlaub ausspricht und dass man auch sehr vorsichtig ist bei den frühzeitigen Entlassungen.»
Vollzugsbeamte betroffen
Allerdings ist unklar, wer von der Haftungs-Initiative betroffen wäre, wer also persönlich haften müsste. Im Initiativtext ist wörtlich die Rede von der zuständigen Behörde und von den Personen, die beispielsweise einen Hafturlaub oder eine frühzeitige Entlassung bewilligt haben. Aus Sicht des früheren Bundesgerichtspräsidenten Giusep Nay steht damit fest: «Unter zuständige Behörde ist der Richter zu verstehen.»
Initiantin Chaaban selber entgegnet aber: «Die Initiative betrifft nicht die Richter oder die Gutachter, sondern die Vollzugsbeamten, die zum Beispiel Hafturlaub oder Haftlockerungen bewilligen.»
Das wäre die Person bei den Behörden, die ihre Unterschrift etwa unter einen Urlaubsentscheid setzt. Wie solle das funktionieren, fragt der frühere Bundesgerichtspräsident Giusep Nay: Wenn der Vollzugsbeamte haften müsse, dann ziele die Initiative auf Personal, das gar nicht die nötige Entscheidungsbefugnis habe.
Grundprinzip des Rechtsstaats
Auf wen also zielt die Haftungsinitiative? Die Frage ist daher umstritten, weil sie Grundprinzipien des Rechtsstaats betrifft. Die automatische Haftung von Richtern ist aus Sicht von Giusep Nay unangemessen: «Das würde die Unabhängigkeit der Richter völlig beeinträchtigen.» Denn Richter, die bei jedem Entscheid um ihr Amt bangen müssen, seien nicht mehr frei in ihrem Urteil.
Formell hat die Bundeskanzlei die Haftungs-Initiative geprüft. Nun startet die Unterschriften-Sammlung.