Die Schweiz muss gesetzliche Bestimmungen zur Suizidbeihilfe nicht präzisieren. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hatte das zuvor aufgrund einer Klage gefordert, weil in der Schweiz keine verbindliche und klare Regelung zur Sterbehilfe bestehe. Es sei nicht klar geregelt, ob oder unter welchen Bedingungen in der Schweiz das tödliche Sterbehilfemittel Natrium-Pentobarbital (NAP) von Ärzten verschrieben werden darf.
Klage wegen verweigerter Sterbehilfe
Eine 1931 geborene Frau aus dem Kanton Zürich wollte sterben, um ihren geistigen und körperlichen Zerfall nicht mehr erleben zu müssen, Weil sie jedoch an keiner schweren Krankheit litt, wollte ihr kein Arzt das Mittel NAP verschreiben. Die Frau hatte gegen diesen Umstand durch alle rechtlichen Instanzen bis zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) geklagt.
Hintergrund
Die Schweiz rekurrierte gegen das Urteil bei der Grossen Kammer des EGMR. Im Mai 2013 fällte der Gerichtshof sein Urteil. Darin wurde die Schweiz aufgefordert, gesetzlich zu klären, in welchen Fällen Sterbehilfe erlaubt oder verboten ist.
Klägerin bereits verstorben
Wie die Schweizer Behörden nun aber erfahren und an den EGMR weitergeleitet haben, hat die Klägerin aber bereits im November 2011 die todbringenden Medikamente doch noch beschaffen können und war verstorben.
Diese Tatsache erfuhren die Schweizer Behörden aber erst, als sie den Rekurs gegen das Urteil aus Strassburg vorbereiteten. Daraufhin beantragte das Bundesamt für Justiz, das Urteil des EGMR sei wegen «Missbrauchs des Beschwerderechtes» aufzuheben.
Urteil gegen Schweiz aufgehoben
Weil die Frau den Justizbehörden mit Absicht ihren Tod verheimlicht hat, tritt auch die Grosse Kammer des EGMR nicht mehr auf den Rekurs ein und hob das bestehende Urteil gegen die Schweiz auf.
Das jetzige Urteil der grossen Kammer des EGMR ist endgültig. Die Schweiz muss demnach nicht weiter gesetzlich festlegen, in welchen Fällen Sterbehilfe erlaubt oder verboten ist.
Die Grosse Kammer des EGMR schreibt in ihrer Medienmitteilung, es sei aus der Sicht der Frau verständlich, dass sie sich für weitere Menschen in ihrer Situation ein Urteil wünschte. Dennoch handle es sich bei diesem Vorgehen um einen Rechtsmissbrauch.
Kein Menschenrecht auf aktive Sterbehilfe
Die Urteile des EGMR
Bernhard Sutter, Vizepräsident von Exit, begrüsst den Entscheid des Gerichtshofs für Menschenrechte, das Urteil aufzuheben. Die Schweiz sollte mit dem erstinstanzlichen Entscheid verpflichtet werden Gesetze im Gebiet der Sterbehilfe auszuarbeiten, «obwohl viele Unterzeichnerstaaten der Menschenrechtskonvention ganz unterschiedliche und zum Teil sich widersprechende gesetzliche Lösungen hierzu anwenden».
Nach Einschätzung des EGMR garantiert die Europäische Menschenrechtskonvention kein Recht auf aktive Sterbehilfe.
Neue Regeln kein Thema
Der Bundesrat hat seine Meinung bezüglich Sterbehilfe in den vergangenen Jahren mehrmals geändert. Zuletzt hat im Sommer 2011 die zuständige Justizministerin Simonetta Sommaruga bekannt gegeben, dass neue Bestimmungen lediglich das geltende Recht konkretisieren würden.
Aus Sicht des Bundesrates wäre dies nicht nur überflüssig, sondern auch mit Nachteilen verbunden: Eine Regulierung würde Suizidhilfeorganisationen (z.B. Exit, Dignitas) staatlich legitimieren, was einen Anreiz schaffen könnte, deren Dienste in Anspruch zu nehmen.
Der Bundesrat betonte, dass Missbräuche schon nach geltendem Recht strafbar seien. Verboten ist Suizidhilfe aus selbstsüchtigen Beweggründen. Suizidwillige Personen müssen urteilsfähig und ausreichend informiert sein. Ferner soll der Sterbewunsch wohlerwogen, ohne äusseren Druck geäussert und dauerhaft sein.
Das Parlament schloss sich dem Bundesrat an: National- und Ständerat lehnten diverse Vorstösse für eine Regulierung ab.