Nicht zu Land, zu Wasser oder in der Luft, sondern immer mehr auch im virtuellen Raum finden die Kriege der Zukunft statt. Vom Cyber-Krieg ist warnend die Rede. Die Nato hat deshalb die Cyber-Verteidigung ganz oben auf ihre Prioritätenliste gesetzt.
Das Cyber-Verteidigungszentrum der Nato liegt in der estnischen Hauptstadt Tallinn, also am nordöstlichen Rand der mächtigsten Militärallianz der Welt. Hier werden Cyber-Angriffe simuliert und Abwehrmassnahmen geprobt, aber auch Cyberwar-Spezialisten ausgebildet. Es werden Strategien ausgeheckt und die völkerrechtlichen Konsequenzen für virtuelle Kriege diskutiert.
Mehrere neutrale Staaten im Gespräch
Bisher sind ausschliesslich Nato-Mitgliedländer am Kompetenzzentrum beteiligt. Als Vollmitglieder entscheiden sie, was in Tallinn getan werden soll. Doch es gibt auch eine Art Teilmitgliedschaft.
Wie die Chefin für Aussenbeziehungen, Liina Areng, erklärt, wird zurzeit mit den neutralen Staaten Schweden und Finnland über eine begrenzte Mitgliedschaft verhandelt. Mit Österreich sei man sich bereits einig und nun auch mit der Schweiz in Kontakt. Das gegenseitige Interesse an der Zusammenarbeit sei offenkundig, eine Delegation aus Bern werde im Herbst erwartet, sagt Areng.
EDA: Möglichkeiten identifizieren
Es sei noch nichts entschieden, betont das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten, bestätigt aber schriftlich entsprechende Abklärungen: «Es geht momentan darum, die Möglichkeiten einer Zusammenarbeit mit dem Nato-Kompetenzzentrum zu identifizieren. Dann soll geprüft werden, ob beziehungsweise in welcher Form die Schweiz das Nato-Kompetenzzentrum unterstützen kann und will.»
Den Weg für diese Annäherung bereitete Aussenminister Didier Burkhalter voriges Jahr auf dem Nato-Gipfel in Chicago. Er war der erste Schweizer Minister seit mehreren Jahren, der zu einem Treffen des Bündnisses eingeladen war. Burkhalter machte damals klar, dass die neuen Bedrohungen im Rahmen einer Kooperation angegangen werden müssten.
Burkhalter: Schweiz muss frei entscheiden können
Mehr noch als bei klassischen Kriegsformen ist ein Alleingang eines kleinen Landes bei der Cyber-Verteidigung fast undenkbar. Da sind sich Strategieexperten einig. «Zusammenarbeit ja», meint Burkhalter, aber die Schweiz müsse frei entscheiden können, wo sie sich bei der Nato beteiligen wolle.
Neutralität und Genfer Konventionen?
Neutralitätsrechtlich ist eine Beteiligung am Cyber-Verteidigungszentrum in Tallinn unproblematisch. Denn hier werden keine militärischen Operationen durchgeführt, weder offensive noch defensive. Das operative Zentrum, die konkrete Cyber-Abwehr, findet im militärischen Hauptquartier der Allianz im belgischen Mons statt. Hier mitzumachen, ist für die Schweiz nicht denkbar. Es fragt sich natürlich, ob sich das eine vom anderen so klar trennen lässt.
Interessant ist ein Engagement und ein Mitreden in Tallinn für die Schweiz auch, weil die Entwicklungen in der Cyber-Verteidigung Auswirkungen auf das internationale Kriegsvölkerrecht haben. Auf die Genfer Konventionen also, als deren Hüterin sich die Schweiz als Sitz des IKRK versteht.
Nato: Schweiz gehört ganz klar dazu
Die Nato ihrerseits bekundet grösstes Interesse, die Schweiz im Cyber-Bereich an Bord zu nehmen. Man habe eine Reihe von Ländern identifiziert, demokratisch-freiheitliche Länder mit Expertise in Cyber-Technologien, stellt Nato-Vize-Generalsekretär Gabor Iklódy fest. Mit diesen würde man gern zusammenarbeiten. Die Schweiz gehöre ganz klar dazu.
Die Kooperation mit Ländern wie der Schweiz im Cyber-Bereich habe keine Grenzen, unterstreicht Iklódy gar. Die Nato wie auch die Schweiz seien im Grunde darauf angewiesen.
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