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Schweiz Schweizer Kampfstiefel: Genäht für zwei Franken pro Stunde

Die Rekruten der Schweizer Armee bekommen neue Kampfstiefel, hergestellt in Rumänien. Doch jene, die den Stiefel produzieren, müssen mit einem Hungerlohn auskommen.

«Es ist falsch zu meinen, gute Qualität habe ihren Preis!» Klare Worte einer Näherin. Die Frau will anonym bleiben, denn sie hat – wie ihre Kolleginnen auch – Angst um ihren Arbeitsplatz, wenn sie mit der «Rundschau» redet.

Reden aber will sie. Über ihren tiefen Lohn von nicht einmal zwei Franken pro Stunde. Sie und ihre Kolleginnen arbeiten in einer Fabrik in Rumänien, stellen die neuen Schweizer Armeestiefel her. Zum rumänischen Mindestlohn: Monatlich rund 300 Franken brutto. Dieser ist mit knapp zwei Franken pro Stunde so tief, dass die Arbeiterinnen und ihre Familien unmöglich davon leben können. Selbst in Rumänien nicht.

Im Norden Rumäniens werden die neuen Kampfstiefel der Schweizer Armee produziert. 80'000 Stiefel hat die Schweiz bei der italienischen Firma AKU geordert, diese hat ihre Produktionsstätte aber in Rumänien. Jedes Jahr kommen nun 25'000 weitere Stiefelpaare dazu: Künftig sollen alle Schweizer Rekruten die neuen Kampfstiefel tragen.

Lohn reicht zum Leben nicht aus

Trotz Job und 100-Prozent-Anstellung: Ein Grossteil der Arbeiterinnen, mit denen die «Rundschau» sprach, muss Kredite aufnehmen, um überhaupt über die Runden zu kommen. Denn die Lebensmittelpreise sind hoch, die Miete für eine Stadtwohnung kostet fast einen ganzen Monatslohn und auch Benzin ist in Rumänien mit 1.20 Franken verhältnismässig teuer.

«Der Lohn, den wir zahlen, entspricht dem rumänischen Mindestlohn», hält die Direktorin der Fabrik entgegen. «Nicht wir haben den Mindestlohn festgelegt, sondern das rumänische Parlament.» Und schliesslich bezahle man Überstunden sogar doppelt. Zudem: Der tiefe Mindestlohn sei nur ein Einstiegslohn, nur 20 Prozent der Angestellten hätten dieses tiefe Salär.

Kritik an der Schweiz

Dennoch: Knapp zwei Franken pro Stunde, das ist weniger als der Mindestlohn in China. «Die Schweizer Regierung als Käufer diktiert die Vorgaben für den Kaufpreis und damit auch, was die Arbeiterinnen verdienen», kritisiert Corina Ajder der NGO «Clean Clothes Campaign».

Rumänien habe so tiefe Mindestlöhne, um auf dem Weltmarkt konkurrenzfähig zu sein. Die Schweiz nutze das aus, meint Ajder. «Made in Europe», so Ajder weiter, «sollte doch auch heissen, dass die Produkte fair hergestellt sind. Das ist aber nicht so.»

Ein fairer Lohn ist nicht gratis

Dabei könnte der Bund den die betroffenen Arbeiterinnen zu einem fairen Lohn verhelfen. «Er könnte im Beschaffungsgesetz soziale Standards verankern in Form von Zuschlagkriterien oder Vertragsbedingungen», erklärt der Jurist Marc Steiner, Experte für Beschaffungsrecht. Und verweist darauf, dass eben dieses Gesetz jetzt neu ausgearbeitet wird und sich demnach eine gute Gelegenheit für eine Anpassung bietet.

Die EU-Staaten hätten in ihrem Beschaffungsrecht genau das getan: Soziale Standards für Arbeitsbedingungen können dort ein Vergabekriterium sein. Das heisst: Der Auftrag wird nicht einfach dem günstigsten Anbieter vergeben.

Das Schweizer Gesetz hingegen sieht heute nur die Einhaltung von Mindeststandards vor, wie beispielsweise das Verbot von Kinderarbeit. Es sei schliesslich eine politische Frage, wie stark man Preis gegen soziale Standards bei öffentlichen Vergaben abwägt, sagt Steiner.

Und was sagt Armasuisse, welche im Auftrag der Schweizer Armee die Kampfstiefel einkauft? Würde sie eine Gesetzesrevision in diesem Sinne begrüssen, zumal das Geld für Einkäufe vom Bund – also von uns allen – kommt? Armasuisse will sich dazu in der «Rundschau» nicht äussern, man setze nur die bestehenden Gesetze um und könne politische Diskussionen über die Gewichtung von Vergabekriterien nicht kommentieren.

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