Ende Februar 2015. In Tripolis explodieren zwei Sprengsätze vor der iranischen Botschaft. In Konolfingen liegt der Park des Schlosshotels Hünigen friedlich unter einer weissen Schneedecke. In einem Seminarraum des Hotels wird derweil über die libysche Verfassung diskutiert.
Diskretes Treffen in der Schweiz
Neun Mitglieder der Verfassungsgebenden Versammlung Libyens hat die Schweiz für drei Tage eingeladen – diskret und unbemerkt von der Öffentlichkeit. Hier diskutieren die Libyer mit Experten über Details einer Verfassung, die es eigentlich schon seit letztem Jahr geben sollte.
Einer der Teilnehmer ist Elbadry Sherief: «Die Arbeit sei schwierig», sagt er. Öffentliche Diskussionen sind unmöglich. Die Verfassungsgebende Versammlung kann sich in Libyen derzeit nicht treffen – zu gefährlich ist die Situation. Doch die Arbeit müsse weitergehen.
Gedankenaustausch ohne Einflussnahme
Die Libyer haben die Schweiz um Hilfe gebeten. Ein Spezialgebiet der Schweizer, der Abteilung Menschliche Sicherheit des Aussendepartements, ist die Aufarbeitung der Vergangenheit. Im Fall Libyen: Verbrechen aus der Ära Gaddafi. Es sei wichtig, den Umgang damit bereits in der Verfassung zu klären, erklärt Experte Serge Rumin vom Aussendepartement. Er hat mit den Libyern über die einzelnen Verfassungsartikel diskutiert, und sie zum Beispiel darauf hingewiesen, dass im Verfassungsentwurf das Thema Sexualverbrechen fehle.
Ob das Thema sexuelle Gewalt schlussendlich in die Verfassung geschrieben wird, darauf haben die Schweizer aber keinen Einfluss. Sie können und wollen den Inhalt nicht beeinflussen.
Friedensschluss der Clans als Voraussetzung
Offen ist auch, ob in Libyen überhaupt eine Verfassungsabstimmung stattfinden könnte. Erst müssten die konkurrierenden Clans Frieden schliessen.
Was also, wenn es gar nie zu einer Abstimmung über die Verfassung kommt? Dieses Risiko müsse man eingehen, sagt Konstantin Obolensky, Vizechef der Abteilung Menschliche Sicherheit. «Das Risiko, dass das keine direkten positiven Folgen haben wird, vor allem langfristigen Folgen für Libyen, dieses Risiko besteht. Aber das besteht eigentlich immer in einem Fall, in dem sie in einer sehr, sehr instabilen Situation ein Land, eine Gesellschaft unterstützen.»
Zudem bleibe das weitergegebene Wissen erhalten, sogar wenn es mit der neuen Verfassung im ersten Anlauf nicht klappe.
Distanz zur Heimat hilft beim Denken
Auch die Einladung in die Schweiz, Kostenpunkt 70'000 Franken, mache Sinn, findet man beim Aussendepartement.
Ein Treffen in Libyen war nicht möglich – und die Distanz zur Heimat helfe beim Denken, so Obolensky: «Es ist in diesem Fall das Ziel, die Teilnehmerinnen und Teilnehmer etwas aus dem Kontext herauszuholen. Es ist wichtig, dass die Leute frei diskutieren können, offen diskutieren können miteinander.» Weil Streitpunkte gebe es noch genug.
Froh über Schweizer Hilfe
Zudem hilft die Schweiz auch, die Friedensverhandlungen unter Aufsicht der UNO, mitzufinanzieren. Teilnehmer Elbadry Sherief ist jedenfalls froh um die Hilfe der Schweiz, in dieser schwierigen Situation.
Es sei nicht einfach, optimistisch zu bleiben. Aber er hoffe, dass die Verfassungsarbeit trotzdem vorwärts gehe. Und dass man in Libyen einen Ausweg aus dem Chaos finde, hin zu Frieden und Stabilität.