SP und SVP sind besonders grosse Fans von Volksinitiativen. Regelmässig lancieren die beiden Polparteien Initiativen, die nicht selten in die Zeit von Wahlkämpfen fallen. Das missfällt der ehemaligen Bundeskanzlerin Annemarie Huber-Hotz. Sie regt deshalb ein Initiativ-Verbot für Parteien mit eigener Fraktion im Parlament an.
«Was jetzt passiert, entspricht dem ursprünglichen Sinn der Volksinitiative nicht», sagte Huber-Hotz in einem Interview mit der Zeitung «Zentralschweiz am Sonntag». Die «Übernutzung der Volksrechte» gebe ihr zu denken. «Die Volksinitiative wurde nicht für Wahlkämpfe und die Profilierung der Parteien eingeführt, die in den Regierungen und Parlamenten mit Fraktionsstärke vertreten sind.» Vielmehr sei das Instrument für Minderheiten geschaffen worden.
Eine Erhöhung der benötigten Unterschriftenzahl für Initiativen halte sie nicht für das richtige Vorgehen. «Man sollte eher dafür sorgen, dass das Mittel der Volksinitiative wieder jenen vorbehalten bleibt, für die es ursprünglich gedacht war.» Für die Parteien mit Fraktionsstärke im Parlament solle deren Gebrauch untersagt sein, findet die ehemalige Bundeskanzlerin (FDP). Die grossen Parteien hätten andere Mittel, um ihre Anliegen einzubringen.
«Kein neues System nötig»
Die Ideen der Bundeskanzlerin stossen bei den Politikern von SP und SVP auf wenig Anklang. Der Vorschlag sei «nicht sinnvoll», sagt SP-Fraktionspräsident Andy Tschümperlin in der «Tagesschau». Auch eine grosse Partei könne eine Meinung vertreten, die im Parlament keine Mehrheit finde. «Eine Volksinitiative soll ja die Minderheitsmeinung mehrheitsfähig machen können.»
Tschümperlin ist nicht der Meinung, dass die Initiative als Wahlkampfinstrument überstrapaziert wird. Deshalb müsse am heutigen System auch nichts geändert werden. «Die 100‘000 Unterschriften, die heute gesammelt werden müssen, sind schon eine grosse Hürde.»
Initiative als Korrektiv gegen «falsche Politik»
Ähnlich äussert sich SVP-Nationalrat Gregor Rutz. Er hält den Vorschlag der Ex-Bundeskanzlerin für «unsinnig»: «Das Initiativrecht wurde nie als Recht für Minderheiten geschaffen, sondern ist in unserer direkten Demokratie ein Korrektiv.»
Damit könne die Bevölkerung korrigierend auf die Politik von Bundesrat und Parlament eingreifen, wenn deren Entscheidungen in eine «falsche Richtung» gingen.
Auch Rutz spricht sich dagegen aus, das Initiativrecht zu beschränken. «Einerseits ist die Tatsache, dass wir so viele Initiativen haben, ein schlechtes Zeugnis für Bundesrat und Parlament.» Andererseits wäre es gerade vor dem Hintergrund, dass die Behörden immer mehr Einfluss hätten, falsch, die Volksrechte zu schwächen und nicht zu stärken.
Eine Frage der politischen Kultur
Auch der Direktor des Bundesamtes für Justiz (BJ), Martin Dumermuth, warnt in einem Interview mit der «Schweiz am Sonntag» vor Korrekturen. Er sei diesbezüglich relativ zurückhaltend. «Jede Einschränkung kann politisch instrumentalisiert werden.» Entscheidend sei nicht die rechtliche Beschränkung, sondern die politische Kultur.
Auch er ist sich bewusst, dass das Instrument der Initiative sich verändert hat. «Politisch starke Gruppierungen, die im Parlament vertreten sind, setzen das Initiativrecht als Mittel der Mobilisierung ein.» Zu diesem Zweck würden Initiativen pointierter formuliert und häufiger angenommen – und seien damit schwieriger umzusetzen.
Eine Vertrauenskrise konstatiert Dumermuth aber noch nicht. Wenn jedoch Initiativen Erwartungen weckten, die nicht erfüllt werden könnten, gerate die Schweiz in einen Teufelskreis: Werde das Instrument immer stärker benutzt, drohe der Verfassungstext immer weiter von der rechtlichen Wirklichkeit abzurücken, und damit beliebig zu werden. «Eine Verfassung, die toter Buchstabe bleibt. Dann hätten wir eine Vertrauenskrise.»