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Schweiz Therapie für Gewalttäter, ein Erfolgsmodell?

Der Fall Carlos hat die Schweizer Volksseele zum Kochen gebracht. Wegsperren statt Kuscheljustiz, scheint der allgemeine Tenor in Foren und Kommentarspalten. Experten sind sich uneinig.

Die Liste der Verfehlungen von Carlos ist lang – die Liste seiner Opfer ebenfalls. Deshalb griff die Zürcher Jugendanwaltschaft zu einer besonderen Massnahme: Rund-um-die-Uhr-Betreuung, zahlreiche Aufpasser und Sozialarbeiter sowie Thaibox-Training bei einem Weltmeister.

So erfolgreich das Modell in diesem Einzelfall auch funktioniert – Carlos hat sich seither nichts mehr zu Schulden kommen lassen, so teuer ist das Ganze aber auch. Wie teuer genau, ist nicht bekannt. Aber die in zahlreichen Medien kolportierten 30'000 Franken dürften vermutlich eher das untere Ende der Fahnenstange sein.

Doch ist es wirklich gerechtfertigt, so viel Geld für die Therapie eines Straftäters auszugeben? Und wo bleiben eigentlich die Opfer? Gerade für sie forderte Psychiatrie-Professor Frank Urbaniok im «Club» ein Umdenken. «Die Opfer haben lange Zeit nur die Funktion eines Beweismittels gespielt, um das Strafmass zu bestimmen», sagte er.

Heute wäre es aber an der Zeit, die Opferinteressen besser zu integrieren. Konkret hiesse das, auf Opferinteressen und die Interessen potentieller Opfer stärker Rücksicht zu nehmen. Das erfordere aber einen Paradigmenwechsel, der in einem veränderten Strafrecht und einem neu gestalteten Opferschutz seinen Niederschlag finden müsste.

«Kosten dürfen nicht exorbitant sein und jedes Mass verlieren»

Auf den Fall Carlos angesprochen, wollte Urbaniok dazu explizit keine Stellung beziehen. Er sei nicht in den Fall involviert und wisse nicht, welche Kosten hier anfielen. Der Psychiatrie-Professor machte im «Club» aber dennoch klar, dass Bestrafung allein die Gesellschaft nicht sicherer macht.

«Wer heute sagt, die Alternative ist wegsperren oder therapieren, der vermittelt der Bevölkerung ein falsches Bild. Denn 99 Prozent aller Gewalt- und Sexualstraftäter werden wieder entlassen.» Deshalb plädiert Urbaniok ganz klar für eine Betreuung. Gute Programme würden die Rückfallquote um 50 Prozent und mehr senken. Ohne sie stiege die Quote um vier bis 14 Prozent.

Trotz der hohen Kosten wisse man heute dank internationaler Studien, «dass das für die Gesellschaft am Schluss eine Erfolgsrechnung ist, weil die Kosten bei einem Rückfall – vom Leid der Opfer ganz zu schweigen – sehr viel höher sind.»

Trotz des eindeutigen Votums für betreute Massnahmen mahnte Urbaniok bei der Höhe der eingesetzten Gelder Augenmass an. «Die Kosten dürfen nicht exorbitant sein.» Denn letztlich sei alles eine Frage der Verhältnismässigkeit.

Härtere Strafen

Strafrechtler Martin Killias sieht das anders. Er plädiert grundsätzlich für eine härtere Gangart im Jugendstrafrecht. «Ich wünschte mir, dass die Täter bei schweren Verbrechen mit einer mehrjährigen freiheitsentziehende Sanktion bestraft würden», sagte Killias gegenüber SRF. Ergänzend dazu solle es zwar durchaus therapeutische Massnahmen geben, aber es müsse ein «Plan B» bereit liegen, wenn der Täter sich nicht kooperativ zeige. «Plan B wäre dann der Freiheitsentzug», so Killias.

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