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Schweiz Tod eines Häftlings: Eine Verurteilung und acht Freisprüche

Im Prozess um den Tod von Skander Vogt im Gefängnis Bochuz hat ein Waadtländer Gericht den Chef der Gefängnisaufseher zu einer bedingten Geldstrafe verurteilt. Die übrigen acht Angeklagten wurden freigesprochen. Trotz des Urteils bleiben Fragen offen.

Der Häftling Skander Vogt hätte nicht sterben müssen. Dass es dennoch dazu kam, ist für die einen eine Verkettung unglücklicher Umstände, für die anderen ein handfester Skandal, der eine Reformierung des Schweizer Strafvollzugs zur Folge haben müsste.

Abseits dieser emotionalen Debatte mussten sich vor dem Waadtländer Kreisgericht in Renens (VD) seit dem letzten Jahr acht Gefängnisaufseher und deren Leiter in einem Prozess für den Tod des Häftlings verantworten. Lediglich der Chefaufseher wurde wegen versuchter Aussetzung von Gefahr schuldig gesprochen und zu einer bedingten Geldstrafe verurteilt. Die anderen Angeklagten wurden freigesprochen.

Die Richterin kritisierte das Vorgehen der Wärter beim Zellenbrand stark. Allerdings hätten die hierarchischen Strukturen und das strenge Arbeitsklima im Gefängnis dazu beigetragen. Der verurteilte Aufseher kassierte eine Geldstrafe von 60 Tagessätzen von 50 Franken auf Bewährung, bei einer Probezeit von zwei Jahren.

«Das geschieht ihm recht»

Was war 2010 geschehen? Skander Vogt hatte in der Nacht auf den 11. März die Matratze in seiner Hochsicherheitszelle im Gefängnis Bochuz angezündet. Zwar löschten die Aufseher das Feuer durch das Gitter, liessen ihn dann aber 90 Minuten im Rauch liegen. Um 3 Uhr morgens stellte ein Arzt schliesslich den Tod des damals 30-Jährigen fest.

Was folgte, war die Selbstrechtfertigung der Justizbehörden. Demnach habe es kein Versagen und keine Fehler gegeben. Doch diese Argumentation bekam mit der Zeit Risse.

Spätestens mit dem Auftauchen eines Telefonmitschnitts erschien der Fall in einem anderen Licht. Der Wortlaut der später in Auszügen von einem französischen Radiosender ausgestrahlten Gespräche liess wenig Spielraum für Interpretationen.

«Seit fünfzig Minuten atmet er Rauch ein, er könnte sterben», sagt etwa ein Wärter zu einem Polizisten. Dieser antwortet: «Das geschieht ihm recht.»

Zehn Jahre statt 20 Monate

Dass Skander Vogt überhaupt im Gefängnis sass, verkam angesichts seines Todes und dessen Umstände zur Nebensache – entbehrt aber dennoch nicht einer gewissen Brisanz.

2001 war Vogt zu einer 20-monatigen Gefängnisstrafe verurteilt worden. Diebstähle, Sachbeschädigungen, Drohungen und einfache Körperverletzungen brachten ihn hinter Gitter. Doch aus 20 Monaten wurden mehr als zehn Jahre Gefängnis.

Der Grund dafür: sein Verhalten gegenüber dem Aufsichtspersonal. Von den Aufsehern wird er als zunehmend aggressiv beschrieben.

Deshalb setzt man seine Strafe aus und verwahrt ihn – weil er aus Sicht der Justiz eine Gefahr für die Allgemeinheit darstellt. Das steigert Vogts Aggressivität nochmals. Ab 2005 sitzt er dauerhaft in diversen Hochsicherheitstrakten.

Gefangene nicht sich selbst überlassen

Skander Vogts Schicksal ist kein Einzelfall. Strafvollzugsexperte Benjamin F. Brägger beobachtet derlei Tendenzen schon seit längerem. «Das politische Klima ist repressiver geworden. Straftäter werden härter angefasst, schneller ausgegrenzt und lange Zeit weggeschlossen», so Brägger.

Skander Vogt auf dem Dach stehend - links daneben zwei auf einer Kranleiter stehende Personen, die mit ihm verhandeln.
Legende: 2008 gelingt es Skander Vogt, auf das Dach zu klettern. Nach 30 Stunden gibt er auf und wird nach Lenzburg verlegt. Keystone

In der Westschweiz komme noch verschärfend hinzu, dass viele Einrichtungen chronisch überbelegt seien, es an Personal fehle und die Infrastruktur veraltet sei. Grundsätzlich meint der Experte, könne man die Allgemeinheit nicht dadurch schützen, «indem man die Zellentür schliesst und den Gefangenen sich selbst überlässt.»

Verzweiflungstat ohne langfristige Wirkung

Genau das aber passierte mit Skander Vogt. Im Sommer 2008 gelang es ihm, die Allgemeinheit auf seine Lage aufmerksam zu machen. Dafür war er auf das Dach des Hochsicherheitstraktes des Gefängnisse von Bochuz geklettert und drohte, sich in die Tiefe zu stürzen.

Mitgefangene solidarisierten sich. Dreissig Stunden dauerte die Nervenprobe, dann griff die Polizei ein und holte ihn vom Dach. Danach besserte sich seine Situation kurzfristig, ehe sein Leben dann 2010 tragisch endete.

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