Der Brexit-Entscheid trifft Genf in einem heiklen Moment. Die wirtschaftliche Lage ist wegen der anstehenden Unternehmenssteuerreform III und der ungewissen Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative bereits angespannt. «Für einen Exportkanton ist es ein grosses Problem, wenn der Franken stärker wird», sagt der Genfer Wirtschaftsminister Pierre Maudet zum EU-Ausstiegsentscheid der Briten.
Wichtiger Handelspartner
Mit Waren und Dienstleistungen im Umfang von jährlich zwei Milliarden Franken exportiert Genf hinter Basel am zweitmeisten aller Kantone. Grossbritannien ist dabei der viertwichtigste Handelspartner nach Frankreich, Hongkong und den USA. Fast die Hälfte des Genfer Exportgeschäfts macht die Uhren- und Schmuckindustrie aus.
Anthony Conway-Fell, Vorsteher der Britisch-Schweizerischen Handelskammer Genf, erwartet in diesem Sektor einen bemerkenswerten Rückgang, vor allem wegen des schwächer gewordenen britischen Pfunds. Der Rückgang könnte sogar die in dieser Branche seit Jahresbeginn grassierende Rezession akzentuieren, befürchtet er.
Auch Rohstoffhandel betroffen?
Genf ist aber auch ein wichtiger Finanz- und Rohstoffhandeslplatz. Von den fünf umsatzstärksten Unternehmen in der Schweiz sind deren drei in Genf angesiedelt. Die Rohstofffirmen Vitol, Cargill International und Mercuria Engergy Group kommen zusammen auf einen Jahresumsatz von rund 500 Milliarden Franken.
Allerdings sei es nicht der Brexit, der für die grössten Sorgen stehe, sagt Stéphane Graber, Generalsekretär des Branchenverbandes der Schweizer Rohstoffhändler. Ihn beunruhigen sinkende Rohstoffpreise stärker.
Viele Geschäfte im Rohstoffhandel werden via London abgewickelt. Deshalb, so die Chefökonomin der Genfer Kantonalbank Valérie Lemaigre, verunsichere die zentrale Frage, ob London weiterhin Zugang zum EU-Wirtschaftsraum haben wird, viele Investoren.
Brexit als Chance?
Man solle jetzt aber auch nicht voreilig schwarzmalen, warnt Conway-Fell von der britisch-Schweizerischen Handelskammer. Er sieht im Brexit vielleicht sogar eine Chance, die Handelsverbindungen zwischen Genf und Grossbritannien noch stärker zu festigen. Er stehe deshalb in engem Kontakt mit dem Genfer Wirtschaftsminister Maudet.
Doch in der Realität können die beiden nicht mehr tun, als zusammen zu diskutieren, denn die Rahmenbedingungen werden nicht in Genf festgelegt, sondern in Brüssel, London und Bern. Somit bleibt den Genfern im Moment nicht viel anderes übrig, als das zu tun, was die Briten tun würden: abwarten und Tee trinken.