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Schweiz Viel Arbeit für wenig Lohn: Das Pflegepersonal ist unzufrieden

Ein aufreibender Beruf mit unregelmässigen Arbeitszeiten und einem niedrigen Lohn. Der Druck auf Pflege- und Betreuungsfachleute werde immer grösser, klagt die Gewerkschaft Unia. Eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen sei dringend nötig.

Michèle Wirth ist seit acht Jahren Pflegehelferin in einem Alters- und Pflegeheim in Thun. Sie liebt ihren Beruf über alles. Sie könne so alten Menschen sehr viel geben und diese würden ihr im Gegenzug sehr viel zurückgeben. Dennoch stand Wirth häufig kurz davor, aus dem Pflegeberuf auszusteigen: «Es wurde einfach sehr stressig: immer weniger Mitarbeiter, immer mehr Leute zum Pflegen.» Und wenn man mal frei habe, werde man gefragt, ob man einspringen kann. «Das wird mit der Zeit sehr mühsam», erklärt Wirth.

Das alles für 4000 Franken brutto im Monat bei einem Vollzeitpensum – viel zu wenig, findet die Pflegehelferin: «Wenn ich denke, wie viel ich in diesem Beruf gebe, ist das definitiv zu wenig.»

Die Hälfte will den Beruf wechseln

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Die Gewerkschaft Unia hat letztes Jahr über 1000 Lernende in Pflegeberufen befragt. Fast die Hälfte gab an, in den nächsten Jahren den Beruf wechseln zu wollen. Der Hauptgrund laute immer ähnlich, sagt Gewerkschafter Adrian Durtschi: «Der Druck in der Pflege nimmt massiv zu. Es bleibt immer weniger Zeit, sich um die Patienten zu kümmern.»

In vielen Bereichen hapert es

Durtschi ist bei der Unia Branchenleiter Seniorenbetreuung. Gerade in der Alterspflege müssten die Arbeitsbedingungen massiv verbessert werden, meint er: «Dazu braucht es mehr Pflegepersonal, mehr Zeit für den einzelnen Menschen, aber auch faire Löhne, Zulagen, bessere Arbeitsmodelle, Lösungen mit Kitas und allgemeingültige Gesamtarbeitsverträge.»

Dass der Druck aufs Personal zunimmt, bestätigt man auch bei Curaviva, dem Dachverband der Schweizer Heime. Vor allem fehlten zunehmend Mitarbeitende mit höherer Fachausbildung, sagt Marianne Geiser Projektverantwortliche für Personalfragen Pflege und Betreuung im Alter bei Curaviva Schweiz. Neun von zehn Heimen geben schon jetzt an, solche Stellen nur schwer besetzen zu können. «Deshalb ist das wichtigste, attraktive, nachhaltige Arbeitsplätze zu bieten, damit die Leute bleiben und wenn sie aussteigen, gerne wieder einsteigen», sagt Geiser.

Weiche Faktoren und mehr Lohn

Die Höhe des Lohnes, oder Gesamtarbeitsverträge spielten dabei gewiss eine Rolle, aber noch wichtiger seien sogenannt weiche Faktoren, findet die Curaviva-Vertreterin: eine gute Stimmung im Team, Anerkennung durch die Vorgesetzten, Weiterbildungsmöglichkeiten, Kinderbetreuung und so weiter: «Das sind Lebensorte, wo dann ein gutes Klima herrscht.»

Der Arbeitsplatz als Lebensort – «schön und gut», sagt dazu Gewerkschafterin und Pflegehelferin Wirth: «Klar ist das sehr wichtig. Aber wir wollen für unsere Arbeit auch genug Geld bekommen, dass wir leben können.»

Wirth macht nun noch eine Weiterbildung. Sie will Fachangestellte Gesundheit werden. Zwei Ausbildungsjahre investiert sie dafür. Danach hat sie mehr Kompetenzen, mehr Verantwortung und erhält auch etwas mehr Lohn: 4500 Franken im Monat.

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