Ein Gespräch mit Bernd. Er ist Jahrgang 1975 und kommt aus Deutschland. Die Frage: Welchen Raum hat der Nationalsozialismus im Geschichtsunterricht eingenommen? Gefühlsmässig, so Bernd, sei diese Epoche unheimlich stark präsent gewesen. Tagesausflüge in die Konzentrationslager seien auf dem Curriculum gestanden. «Dachau war für uns Schüler relativ harmlos, Theresienstadt ist allen unter die Haut gegangen.»
Noch ein Gespräch. Diesmal mit Mati. Auch er kommt aus Deutschland, ist aber in der DDR aufgewachsen. Juden? Massendeportationen? Nee. In seiner Schulzeit spielten die Juden keine Rolle. Keine. Die Jahre 1939 - 1945 standen im Schatten des Kampfes der Kommunisten gegen Hitlerdeutschland. Auch er besuchte mit seiner Klasse zwei Konzentrationslager, Buchenwald, Sachsenhausen. Hier, so wurde den Kindern gelehrt, seien vor allem Kommunisten ermordet worden.
Abhängig von der Präferenz des Lehrers
Spricht man mit Schweizern, sieht das Bild wieder anders aus. Wenn die sich an ihre Geschichtslektionen erinnern, so fallen ihnen die Pfahlbauer, die Römer, die Griechen und die Französische Revolution ein. In den meisten Fällen, so berichten sie, kam der Nationalsozialismus erst gegen Ende der Schulzeit vor, und dann war die Zeit zu knapp, um tiefere Einsichten in den Zerstörungswahn des Zweiten Weltkriegs zu erhalten.
Der Psychologe Allan Guggenbühl kennt das Problem: «Die Schule muss Auschwitz als Abgrund menschlicher Verfehlung darstellen. Nicht als Prüfungsstoff. Das ist ein Grund, weshalb viele Lehrer das Thema Holocaust nicht in Angriff nehmen.»
Nicole Poëll, Präsidentin der Plattform der Liberalen Juden der Schweiz (PLJS) , nimmt die Schweizer Lehrer aber auch in Schutz: «Im Allgemeinen ist man hier der Ansicht, dass die Schweiz einfach weniger betroffen war vom Holocaust als Deutschland. Die Wissensvermittlung ist daher schwieriger.»
Fortbildung für die Lehrkräfte
Die PLJS versucht trotzdem, diese Lücke im Schweizer Bildungswesen zu füllen. Gemeinsam mit dem Schweizerischen Israelitischen Gemeindebund (SIG) veranstaltet sie Ausbildungsreisen nach Auschwitz-Birkenau. Und diese Reisen richten sich in erster Linie an Lehrkräfte in der Schweiz. Die Hoffnung ist, dass die Lehrer später unbefangener das schwierige Thema präsentieren.
Allan Guggenbühl weist aber darauf hin, dass eine Lehrperson den Schülern zu verstehen geben muss, dass man auf Auschwitz keine Antworten geben kann. «Auschwitz ist nicht vermittelbar.» Damit meint der Psychologe, dass Auschwitz nicht anhand Faktenhuberei durchgenommen werden soll. Die Inhalte, so Guggenbühl, sollen nicht «pädagogisiert» werden.
Der Zahn der Zeit
Ein anderes Problem: Die Zeit wird knapp. Nach 70 Jahren sind die Überlebenden des Konzentrationslagers nur noch an den Fingern beider Händen abzuzählen. Zwei von ihnen sind Edouard Kornfeld und Gabor Hirsch. Die jüdischen Gemeinden in der Schweiz organisieren deren Auftritte vor Schulklassen.
Doch wie sieht die Situation aus, wenn die letzten Überlebenden nicht mehr unter uns sind? Eine ganz neue Idee verfolgt deswegen der SIG. Mit dem Programm «Likrat» versucht man, jüdische Jugendliche als Botschafter auszubilden. Nach einer halbjährigen Ausbildung besuchen die 16-Jährigen Schulen und versuchen dort Gleichaltrige aufzuklären. Ein Thema ist auch die Vermittlung des Holocausts.