Winterthur ist gewachsen wie kaum eine andere Schweizer Stadt: innert 20 Jahren um mehr als 20'000 Einwohner. Heute leben 107‘000 Menschen dort.
Die Stadt wollte und konnte wachsen, etwa dort, wo früher grosse Fabriken wie zum Beispiel Sulzer standen. Man hoffte auf neue, gute und sehr gute Steuerzahler. Gekommen sind aber viele wenig Begüterte und Menschen aus der Mittelschicht, die sich in Winterthur eine schönere Wohnung leisten können als im teuren Zürich.
Bevölkerungswachstum kostet Geld
Stadtpräsident Michael Künzle sagt es so: «Unser Problem ist in der Tat, dass wir keinen See haben. Das klingt sehr einfach als Begründung. Aber es ist so: Wer Vermögen hat, wer sich eine kostspielige Liegenschaft leisten kann, der will eine Aussicht haben. Der will auf einen See sehen. Insofern können wir das nicht bieten.»
Schneller als anderswo hat das Bevölkerungswachstum das Ersparte der Stadt weggefressen. Die Stadtregierung kündigte darum schon im Frühling ein Sparprogramm an – mit symbolträchtigen Massnahmen wie der Kürzung der eigenen Löhne und der Verkleinerung der Stadtregierung von sieben auf fünf Mitglieder.
Widerstand gegen Steuererhöhungen
Aber auch der Steuerfuss sollte steigen – auf kantonales Rekordniveau. Eine Allianz aus Bürgerlichen und Grünliberalen hat das abgelehnt und die Regierung zu mehr Sparmassnahmen verknurrt. Öffentliche Toiletten und Strassen sollen weniger geputzt werden, und bei den Verkehrsschildern und in den Altersheimen soll gespart werden.
Der Grünliberale Michael Zeugin erklärt: «Wir müssen jetzt wirklich das Problem des Ausgabenwachstums in der Stadt Winterthur in den Griff kriegen. Dazu haben wir uns verpflichtet. Deshalb wollen wir jetzt auch keine Steuererhöhungen auf Vorrat.»
Die Frage ist, ob man mit dieser Art des Sparens mit vielen kleinen Kürzungen die Finanzprobleme Winterthurs und anderer Städte nachhaltig lösen kann. Nein, ist Andreas Bergmann überzeugt.
Umliegende Gemeinden profitieren
Bergmann ist Experte für öffentliche Finanzen an der Hochschule Winterthur. Die wirklich grossen Ausgaben könnten die Städte nämlich kaum beeinflussen, etwa die Sozialhilfe: «Es sind übergeordnete Gesetze, auf kantonaler oder auf Bundesebene, die in den Städten vollzogen werden müssen. Und dort fallen dann die Kosten an.»
Zudem finanzierten die Städte Tram- und Buslinien, Theater und Museen und vieles andere, was auch die Einwohner der umliegenden Gemeinden nutzten. Das werde immer noch zu wenig ausgeglichen, sagt Bergmann weiter.
Wegen dieser Zentrumsfunktion geben die Städte bis zu 2000 Franken pro Kopf mehr aus als umliegende Gemeinden. Das hat eine Studie des Bundes kürzlich ergeben. Genau darum fordert auch Winterthurs Stadtregierung mehr Geld von den reichen Zürcher Gemeinden über den kantonalen Finanzausgleich – bis jetzt aber ohne Erfolg.