Februar 2016: Eine kleine Schweizer Delegation reist durch Eritrea und macht sich ein Bild vom Leben im autoritär geführten Land. Die unspektakuläre Dienstreise ins Asyl-Herkunftsland Nummer 1 hat grosse Folgen: Gestützt auf den Reisebericht verschärft das Staatssekretariat (SEM) seine Praxis.
Mit richterlichem Segen
Das SEM geht seither davon aus, dass ein namhafter Teil der bislang in der Schweiz «geschützten» Eritreerinnen und Eritreer zurückkehren könnte ins ostafrikanische Land. Wenig zu befürchten hat laut SEM zum Beispiel, wer den menschenrechtlich umstrittenen eritreischen Nationaldienst vor seiner Ausreise fertig absolviert hat.
Die Praxisänderung ist inzwischen höchstrichterlich abgesegnet – in Form von zwei Leiturteilen des Bundesverwaltungsgerichts. Die Richter kamen darin gar zum Schluss, dass in Eritrea «keine Situation allgemeiner Gewalt» bestehe.
Amnesty International und die Schweizerische Flüchtlingshilfe bestreiten dies. Wie es zum Beispiel in den Kerkern des Regimes aussieht, weiss niemand. Internationale Beobachter und das IKRK stehen in Eritrea weiterhin vor verschlossenen Gefängnistoren.
Offensives Vorgehen
Zwei Jahre nach der Eritrea-Reise zeigt sich: Die Asylspezialistinnen und -spezialisten von Justizministerin Simonetta Sommaruga nutzen ihren neu gewonnenen Spielraum vollumfänglich aus. Dossiers von über 9000 vorläufig aufgenommenen Eritreern haben sie durchkämmt, bei bis zu 3200 prüfen sie eine Ausweisung. Es ist eine noch nie da gewesene Aktion.
Klar, die Betroffenen können sich rechtlich wehren. Und Eritrea akzeptiert weiterhin keine Zwangsrückführungen. Das Leben der Betroffenen aber gerät dennoch aus den Fugen. Ihr als sicher geglaubter Status wackelt. Und kommt es tatsächlich zu einer Ausweisungs-Verfügung, so bleibt ihnen die Wahl zwischen einer freiwilligen Rückkehr nach Eritrea und einem Leben als «Illegale» in der Schweiz.
Erst der Anfang?
Vielleicht folgen bald weitere Schritte: Der politische Druck nämlich ist gross. Das Parlament verlangt, dass der Bundesrat weitere diplomatische Schritte auf Eritrea zu macht – mit dem Ziel: Eritrea soll auch Zwangsrückführungen akzeptieren.
Sozialdemokratin Simonetta Sommaruga wirbt regelmässig um Verständnis für Eritreer, die ihr Glück in Europa suchen. Sie wird nicht müde, die Zustände im ostafrikanischen Land anzuprangern. Auch wirbt sie für Humanität und Solidarität.
Im asylpolitischen Tagesgeschäft aber ist auch sie eine Realpolitikerin – eine Realpolitikerin, die innenpolitischen Druck nicht ignorieren kann und will. Unter diesem Druck wählt sie im Fall Eritrea nun die europaweit bislang härteste Gangart.
Im Beiboot EU
Realpolitikerin Sommaruga sind weitere – in linken und humanitären Kreisen umstrittene – Schritte zuzutrauen. Das zeigt die zweite Neuigkeit dieser Woche. Die Schweiz setzt sich ins Beiboot der EU und profitiert von einem Rückführungs-Deal mit Äthiopien. Dass bei Rückführungen abgewiesener Asylsuchender etwa ausgerechnet der berüchtigte äthiopische Geheimdienst mitwirkt, nimmt sie in Kauf.
Auch hier handelt die Bundesrätin unter politischem Druck. Das Parlament hat den Bundesrat zum Beispiel verpflichtet, Entwicklungshilfe und Migrationsthemen stärker miteinander zu verknüpfen. Der Bund führt eine Liste mit fünf Staaten, bei denen es harzt mit Rückführungen. Äthiopien ist einer dieser Staaten auf der «Fünferliste».
Übrigens: Ebenfalls diese Woche hat Aussenminister Ignazio Cassis in Ulan Bator ein Rückübernahme-Abkommen mit der Mongolei unterzeichnet. Das war medial nur eine Randmeldung – Zufall aber war es nicht: Auch die Mongolei steht auf der «Fünferliste».