Die Karriere von Evelyne Binsack gilt als beispiellos. Sie war die erste Schweizerin auf dem Mount Everest, war am Nord- und am Südpol. Doch vor ein paar Jahren entschied sie, keine grösseren Expeditionen mehr zu machen. «Die Zitrone war ausgepresst», sagt sie heute. Sie musste einen neuen Lebensinhalt finden. Das war schmerzhaft, wie sie im Gespräch erzählt. Die 55-Jährige ist noch immer viel unterwegs und fast immer in den Bergen.
SRF News: Dieses Gespräch findet bei Ihnen zu Hause auf der Terrasse statt. Sie sind wohl nicht häufig hier anzutreffen, oder?
Evelyne Binsack: Meine Ferien finden vor allem hier statt, denn sonst bin ich tatsächlich noch immer viel unterwegs; halte Referate, mache Exkursionen und Coachings, führe Gäste auf die Berge.
Heute Morgen waren Sie auf einer Skitour, nun führen wir das Gespräch. Danach geht es weiter in die Zentralschweiz, wo Sie zu ihrem Pferd schauen. Woher nehmen Sie diese Energie?
Ach, eine schwierige Frage. Sehr wahrscheinlich von daher, dass ich das mache, was ich gerne mache. Wobei das nicht immer einfach ist. Es ist mit viel Unruhe verbunden.
Wie meinen Sie das?
Als Spitzensportlerin kommt man einmal an einen Punkt, wo man eine schwierige Zeit durchlaufen muss. Nämlich dann, wenn man merkt, dass man nicht mehr wie bis anhin weitermachen kann. Dann wird alles infrage gestellt, weil man sich neu erfinden muss.
Ich stellte alles infrage und hatte Existenzängste.
Ich hatte Existenzängste. Ich spürte, dass ich mich nicht mehr für Expeditionen begeistern kann, war wie eine ausgepresste Zitrone; hohe Gipfel reizten mich nicht mehr. Das schöne: Man ist um wichtige Erfahrungen reicher.
Sie versuchten immer wieder, auf den Klimawandel und die Umweltzerstörung aufmerksam zu machen. Themen, welche sich die SVP nicht gerade auf die Fahne geschrieben hat. Doch für diese Partei wollten Sie bei den Wahlen im Herbst kandidieren.
Mit diesem Vorhaben habe ich tatsächlich viele Leute vor den Kopf gestossen. Aber ich wurde von der Partei mit offenen Armen empfangen. Es sind tolle Leute hier aus dem Tal, die sich in der Partei engagieren. Aus gesundheitlichen Gründen habe ich die Kandidatur jedoch im Dezember zurückgezogen. Bei einer Bergtour letztes Jahr kamen wir in ein Gewitter. Seither plagen mich unter anderem Kopfschmerzen; eine solche Kandidatur wäre zu viel für mich.
Sie haben viel erlebt, gerade weil sie viel unterwegs waren. Gibt es jedoch Dinge, die zu kurz kamen?
Nein, im Gegenteil. Ich habe viel zu viel erlebt. Schon als ich 40 Jahre alt war, hatte ich den Eindruck, mehr zu erleben geht gar nicht mehr. Ich habe Höhen und Tiefen erlebt, Lebenspartner und Freunde sind gestorben. Es gibt also kaum etwas, das ich vermisse. Eine Familie habe ich nicht gegründet – aber das wollte ich auch nie wirklich. Ich bin sehr zufrieden, gerade auch, weil ich viele schwierige Sachen durchgemacht habe.
Wie das?
Es macht dich stärker. Ich weiss, was ich erlebt habe, und dass ich mit solchen Rückschlägen und Gefühlen zurechtkommen kann.
Das Gespräch führte Thomas Pressmann.