Die Bernerin Silvia Bühler verwaltet die Geschichte der Frauen in der Schweiz. Sie hat kurz vor dem Tod der Frauenrechtlerin Marthe Gosteli die Leitung des Archivs der Gosteli-Stiftung übernommen. Im Gespräch spricht sie über den Frauenstreik von Anfang Woche, über Geschichtsschreibung – und ihre Angst um das Archiv.
SRF News: Sehen Sie sich als Verwalterin der Geschichte der Frauen in der Schweiz oder schreiben Sie auch aktiv an der Geschichte mit?
Silvia Bühler: Ich glaube, wir sind hier vor allem Chronistinnen der Schweizer Frauengeschichte. Natürlich ist ein grosser Teil unserer Arbeit das Verwalten.
Natürlich ist ein grosser Teil unserer Arbeit das Verwalten – aber nicht nur.
Aber durch das Weitergeben der Informationen aus unserem Archiv schreiben wir natürlich schon auch ein Stück weit etwas an der Geschichte mit.
Und was ist das für eine Verantwortung für Sie?
Eine spannende, manchmal auch eine herausfordernde. Ein grosser Teil der neuen Schweizer Geschichte ist geprägt durch die Geschichte der Frauen in der Schweiz. Diese Geschichte in die Zukunft zu tragen, ist eine wichtige und grosse Aufgabe.
Sie sagen, Sie schreiben die Geschichte ein Stück weit mit. Wie denn?
Indem wir sichtbar machen. Zum Beispiel, weil wir gewisse Dokumente nicht einfach in den Keller stellen, sondern Verzeichnisse anlegen und in Onlinedatenbanken aufnehmen; dass die Leute also recherchieren können und die Dokumente – und somit die Geschichte – wiederfinden.
Am Frauenstreik diese Woche haben Sie nicht teilgenommen. Weshalb?
Weil ich arbeiten musste! Rund um solche Tage haben wir hier viel zu tun, weil die Leute Archivbilder oder Informationen zu früheren Frauenstreiks anfordern. Wir haben diesen Personen diese Inhalte geliefert – und so vielleicht indirekt auch etwas zum Frauenstreik beigetragen.
Sie arbeitet in einem Frauen-Archiv, die Themen Frau, Frauenrechte und Gleichberechtigung sind präsent. Ist es auch ein Dauerthema in ihrem Privatleben? Sind sie Aktivistin?
Ich sehe mich nicht als Aktivistin, aber die Arbeit hier bringt es natürlich mit sich, dass man sehr affin ist auf diese Fragen. Eigentlich bin ich es schon immer ein wenig gewesen. Als es darum gegangen ist, ob ich ins Gymnasium soll, haben meine Grosseltern das für mich als Mädchen als unnötig beurteilt. Ich fragte mich, was das soll!
Ich glaube, alle Frauen in meinem Alter haben schon Diskriminierung erfahren.
Meine Eltern haben sich glücklicherweise für mich eingesetzt. Solche Sachen prägen. Ich glaube, alle Frauen in meinem Alter haben schon Diskriminierung erfahren, zum Beispiel, weil ihnen etwas nicht zugetraut wurde. Oder vielleicht auch sexuelle Belästigung. Das sind solche Sachen, wo man irgendwann mal beginnt, sie zu hinterfragen.
Aber eben: Sie sehen sich nicht als Aktivistin?
Nein, eigentlich nicht, eher als eine, welche die Ideen der Aktivistinnen mitträgt. Durch meine Arbeit verfolge ich gesellschaftlich Entwicklung. Ich weiss auch, wie sie in der Geschichte entstanden sind.
Marthe Gosteli hat Sie kurz vor ihrem Tod gefragt, ob Sie die Leitung des Archivs übernehmen möchten. Wie war das damals für Sie?
Das war eine grosse Ehre. Es freute mich, dass sie mir zutraute, ihr Lebenswerk weiterzuführen. Aber natürlich war es auch eine grosse Herausforderung. Meine Aufgabe war und ist es, das Archiv ins 21. Jahrhundert zu führen.
Falls es im Archiv mal Dokumente oder eine Art Lexikoneintrag über Sie als Leiterin des Archivs der Gosteli-Stiftung geben wird: Was sollte dort keinesfalls drinstehen?
Dass das Archiv unter meiner Leitung zugrunde ging.
Fürchten Sie sich davor?
Ja, diese Angst ist da. Die Zukunft des Archivs war lange unsicher – und ist es sogar noch heute teilweise.
Das Gespräch führte Thomas Pressmann.