Konzentriert sitzt er in einem Kämmerchen ganz oben in einem der Stadttürme von Aarau. Ein paar Meter über ihm erklingen die Glocken zur Melodie von «Der Wächter auf dem Turme sass». Seit 50 Jahren ist Hubert Schäpper der offizielle Glockenspieler von Aarau. «Abgesehen von meiner Frau ist das Glockenspiel meine beste, meine längste Freundin», sagt der 67-Jährige mit einem Augenzwinkern.
Ich spiele nicht immer das Gleiche, weil es sonst langweilig würde.
«Das Besondere ist diese Einfachheit, mit der ich etwas Künstlerisches, etwas Schönes spielen kann, das den Menschen Freude bereitet», erklärt der pensionierte Musiklehrer. Die Glocken erklingen an kirchlichen Feiertagen oder bei wichtigen Stadtfesten wie dem Bachfischet oder dem Maienzug. Darüber hinaus kann Hubert Schäpper frei entscheiden, wann er was spielen möchte, etwa am Valentinstag oder in der Adventszeit.
Das Glockenspiel wird über Holz-Hebel bedient, die aussehen wie die Tasten einer Orgel. Die Hebel sind über Seilzüge mit den Glocken verbunden. Anders als bei grösseren Glockenspielen oder Orgeln gibt es keine Pedale. Denn das Aarauer Glockenspiel besteht nur aus elf Glocken.
«Je nach Lied ist es nicht schwierig, die Glocken zu spielen», gibt Hubert Schäpper einen Einblick in seine Tätigkeit. «Ich spiele deshalb nicht immer das Gleiche, weil es sonst schnell langweilig würde». Er versuche die Grenzen des Glockenspiels auszuloten, etwa bei der Geschwindigkeit. Und: «Gewisse Töne darf ich auch nicht gemeinsam spielen, weil es sonst aufgrund der Schwingungen nicht passt und es dann ziemlich scheppert.»
Glockenspiel erst seit 1969
An die Aufgabe des Glockenspielers ist er bereits mit 17 Jahren herangeführt worden. «Mein Vorgänger war damals bereits älter als ich jetzt und konnte plötzlich nicht mehr in den Turm hochsteigen, aus gesundheitlichen Gründen», erzählt der heute 67-Jährige. «Deshalb musste ich einspringen und habe es dann später definitiv übernommen.»
Der Arbeitsplatz von Hubert Schäpper ist im zwölften Stock im Oberturm in der Aarauer Altstadt. Hinauf führen 187 Stufen – vorbei an mittelalterlichen Gefängniszellen und der ehemaligen Wohnung des Turmwächters. Dieser hielt früher nach Bränden Ausschau und alarmierte die Bevölkerung mittels Glocken.
Auch wenn man es anders vermuten würde, ist die Tradition des Glockenspiels in Aarau noch sehr jung. Bis ins Jahr 1969 hingen im Oberturm nur zwei Glocken. Eine für den Viertelstunden- und eine für den Stundenschlag.
Die anderen neun Glocken erhielt die Stadt von der ortsansässigen Glockengiesserei Rüetschi anlässlich ihres 600-jährigen Firmenjubiläums geschenkt. «Die Glockengiesserei bedankte sich damit bei der Stadt für die lange gemeinsame Geschichte.»
Hubert Schäpper ist nach 50 Dienstjahren mittlerweile 67 Jahre alt. Ans Aufhören denkt er trotzdem nicht: «Ich habe mir letztes Jahr zwei neue Kniegelenke geleistet und habe nun vor, von meinen bisher 18'750 Diensttagen auf mindestens 20'000 Diensttage zu kommen.»
Auch wenn er dereinst das Glockenspiel nicht mehr bedienen kann, wird Aarau nicht auf die Melodien aus dem Oberturm verzichten müssen. Seit bereits 40 Jahren hat Hubert Schäpper einen Kollegen, der aushilft, wenn er selbst verhindert ist.
Und für die weitere Zukunft hat der Glockenspieler jemanden im Blick: «Ich habe einen jungen Aarauer im Hinterkopf. Ich muss ihn nur noch etwas bearbeiten», lacht Hubert Schäpper und greift noch einmal in die Tasten, um die Glocken erklingen zu lassen.