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Seniorenbetreuung 24-Stunden-Betreuung: 15-Stunden-Tage und Reste als Mahlzeit

Das Bundesgericht entschied letzten Monat, dass die 24-Stunden-Betreuung durch eine einzige Person nur noch in Ausnahmefällen gestattet ist. Nun zeigt sich: Die Umsetzung ist nicht einfach.

  • Im Januar entschied das Bundesgericht: Die 24-Stunden-Betreuung fällt verstärkt unter das Arbeitsgesetz.
  • Betreuerinnen und Betreuer, die in einem Schweizer Haushalt angestellt sind, bekommen mehr Rechte. Vor allem was ihre Überstunden betrifft.
  • Nun zeigt sich aber: Personal-Vermittler bieten weiterhin umstrittene Betreuungsmodelle an.
  • Der Graumarkt ist riesig, die Arbeitsmarktbehörden kündigen mehr Kontrollen an.

Schon lange kämpft die Gewerkschaft VPOD für bessere Anstellungsverhältnisse für 24-Stunden-Betreuerinnen. Letzten Monat hatte sie Erfolg. Das Bundesgericht hiess eine Beschwerde des VPOD gut. In dem Urteil heisst es, dass Betreuerinnen, die über eine Firma in Privathaushalte geschickt werden, künftig dem Arbeitsgesetz unterstehen. Das heisst, es gibt Höchstarbeitszeiten, geregelte Überstunden und besseren Lohn.

Das Urteil aus Lausanne hat allerdings einen Haken. Es gilt nur, wenn eine Betreuerin über einen Vermittler angestellt wird. Bei Verträgen, die ein Haushalt direkt mit einer Betreuerin macht, gelten die Regelungen des Arbeitsgesetzes nicht.

Unternehmen wie «Pflegevermittlung Schweiz» fühlen sich nun aber nicht direkt vom Urteil betroffen. Sie treten offiziell nur als Vermittler auf, kassieren dafür aber eine Gebühr. Und zwar nicht einmalig, sondern monatlich. Im Fall der «Pflegevermittlung Schweiz» bis zu 1000 Franken im Monat. «Das ist aus meiner Sicht kein Pflegevermittler, sondern ein Verleih», sagt Rechtsprofessor Kurt Professor Pärli von der Uni Basel. Er hat zur 24-Stunden-Betreuung ein Gutachten für das VPOD verfasst. «Vieles spricht dafür, dass hier das strengere Arbeitsgesetz gilt.» Auch das Seco vertritt diese Ansicht.

Lukratives Geschäft

Die Pflegevermittlung ist ein lukratives Geschäft, im Internet tummeln sich viele Dutzend Anbieter. Sie alle werden versuchen, weiter Frauen aus Osteuropa an Schweizer Haushalte zu vermitteln. Doch durch das neue Gesetz wird ihr Handeln eingeschränkt.

Das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) erklärt der Rundschau, was das Urteil in der Praxis bedeutet: «Gemäss den aktuell geltenden Regeln des Arbeitsgesetzes ist eine Betreuung rund um die Uhr über mehrere Wochen durch nur eine Person nicht möglich.»

Künftig nur für Reiche?

Braucht es künftig also drei Leute für eine 24-Stunden-Betreuung. Dazu Professor Pärli: «Das ist eine mögliche Konsequenz. Wenn man eine 24-Stunden-Betreuung will, hat das seinen Preis.» Können sich künftig also nur noch Reiche eine solche Betreuerin leisten können? Kurt Pärli: «Das stimmt. Es sei denn, der Gesetzgeber findet eine Lösung dafür. Oder es kommt zu halblegalen oder illegalen Beschäftigungen.»

Diese Vergehen aufzudecken, wird die Aufgabe der Kantone sein. «Wir werden diese Firmen kontrollieren und mit den betroffenen Frauen das Gespräch suchen», sagt Nicole Hosstettler, Präsidentin des Verbandes Schweizerischer Arbeitsmarktbehörden gegenüber der «Rundschau».

Geklagt hatte eine 24-Stunden-Betreuerin, der man die Überstunden nicht zahlen wollte. Die Frauen aus dem Verein «Respekt» kennen diese Probleme gut. Eine Polin erzählt, sie habe wochenlang 15 Stunden am Stück gearbeitet, die demente Patientin habe sie angeschrien und geschlagen. An Nachtruhe sei nicht zu denken gewesen. Eine andere sagt, die Schweizer Familie, bei der sie gewohnt hat, habe ihr die Essensreste als Mahlzeit vorgesetzt.

Rundschau, 23.02.2022, 20:05 Uhr

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