Genau so habe er sich das immer vorgestellt, sagt Damian Müller, einer der jüngsten Ständeräte aller Zeiten. Er ist beeindruckt von dem, was er im Stöckli hat erleben dürfen. «Man geht sehr respektvoll miteinander um. Man versucht, Lösungen und Kompromisse zu erarbeiten. Natürlich ist man hart in der Diskussion, wenn es um die Geschäfte geht. Aber schliesslich ist immer das Ziel im Fokus.»
Der FDP-Ständerat und Senkrechtstarter aus dem Kanton Luzern lobt die Bereitschaft in der kleinen Kammer, auf die Argumente der anderen einzugehen, er schätzt die Gewissenhaftigkeit der Diskussion. Und Müller ist froh, dass in dem Saal elektronische Geräte wie Laptops verboten sind. Das erhöhe die Bereitschaft, einander zuzuhören, enorm.
«Meinungen sind schon im Vorfeld gemacht»
Barbara Keller-Inhelder und Matthea Meyer, die beiden neuen Nationalrätinnen drüben im Nationalratssaal, nehmen nach den ersten drei Wochen andere Erfahrungen mit nach Hause. Auch sie zeigen sich zwar begeistert vom Treiben im Berner Machtzentrum. Doch SVP-Nationalrätin Keller-Inhelder findet es noch etwas «gewöhnungsbedürftig», dass im Nationalratssaal kaum ein wirklicher Diskurs stattfinde. Vielmehr würden einfach Referate gehalten, stellt die St. Gallerin verwundert fest: «Die Diskussion ist relativ einseitig, und viele Meinungen sind schon im Vorfeld gemacht und werden dann nicht mehr angepasst.»
Keller-Inhelder, die in den drei Wochen fast alles von ihrem Platz aus intensiv mitverfolgt hat, während die Sitze um sie herum oftmals auffällig leer geblieben sind, wundert sich über die Oberflächlichkeit mancher Diskussionen. Als Beispiel nennt sie die Einführung der Grenzkontrollen: «Dass eine Diskussion wie diese in so kurzer Zeit abgehandelt wird, finde ich bedenklich. So eine wichtige Frage für unser Land wurde innert zwei Stunden mit sechs anderen Vorstössen quasi vernichtet.»
Aufpassen, dass man keine Abstimmung verpasst
Auch SP-Nationalrätin Meyer aus dem Kanton Zürich hätte nicht erwartet, dass sich ein wesentlicher Teil des politischen Geschehens ausserhalb des Nationalratssaals abspielt: «Es ist überraschend, wie viele Leute sich draussen aufhalten. Ich bin mir aber auch bewusst, dass die politischen Gespräche und Kompromissfindungen auch in der Wandelhalle während der Ratsdebatte stattfinden.»
Und die 28-jährige Juso-Politikerin ist sich nach drei Wochen Nationalratsleben auch bewusst geworden, dass ihre neue Aufgabe vor allem viel Arbeit bedeutet: «Das Ratsleben ist anstrengend, es läuft extrem viel, man hat viele Besprechungen. Man muss immer wieder schauen, dass man keine Abstimmung verpasst. Dass man auch die Diskussion mitbekommt. Ich durfte schon zweimal reden. Es gibt morgens Veranstaltungen, über den Mittag, abends, aber es macht Spass.»
Ständeratskollege Müller von der FDP hat in diesen Tagen erfahren, dass er gleich in vier Kommissionen Einsitz nehmen wird. Viel Zeit für anderes als Parlamentsarbeit bleibe ihm damit im nächsten Jahr kaum: «Wenn ich mir das Jahres- oder Monatsprogramm anschaue, bin ich überrascht, wie viele Termine es sind. Ich bin sehr viel in Bern, werde aber auch viel von zuhause auch arbeiten, wenn es um die Vorbereitung der Geschäfte geht. Es geht jetzt los, und darauf freue ich mich.»
Highlight Bundesratswahl – und die Neulinge mitten drin
Und wie es losgegangen ist! Die drei Neuen haben in der vergangenen Woche gleich einen neuen Bundesrat mitwählen dürfen. Alle drei haben dies als Höhepunkt erlebt. Keller-Inhelder fand es sehr aufregend: «Es war so spannend, bei einer so wichtigen Frage so nahe dabei zu sein und mitbestimmen zu können.» Auch Müller war gerührt: «Dass man plötzlich in der Vereinigten Bundesversammlung sitzt, war dann schon sehr emotional. Dass man mitten drin ist und diese Verantwortung mittragen darf.» Und Meyer sagt: «Es war spannend, das mal nicht vom Fernseher aus zu beobachten, mitzufiebern und zu leiden, sondern wirklich mitzubestimmen.»
Immer so spannend und aufregend wird es in den kommenden vier Jahren unter der Bundeshauskuppel für die drei Neulinge mit Garantie nicht werden. Denn was jetzt folgt, ist vor allem Knochenarbeit. Alle drei Volksvertreter haben sich für ihre erste Legislatur viel vorgenommen – die St. Galler SVP-Frau Keller-Inhelder hat in dieser ersten Session sogar schon ihren ersten Vorstoss an den Bundesrat eingereicht.