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Session Das Alkoholgesetz: 128 Jahre Kampf gegen den «Saufteufel»

Das «Bundesgesetz über die gebrannten Wasser» trägt nicht nur einen antiquierten Namen. Es ist auch alt. Sehr alt sogar: Seine Ursprünge gehen auf 1887 zurück, und es war aus der Not geboren. Denn eine Pest ging um.

«Ganze Ortschaften, die vor 1886 rettungslos der Schnapsseuche verfallen zu sein schienen, blühten wieder auf.» Mit diesen Worten klopfte sich der Bundesrat 1926 gleichsam selber auf die Schulter; er hatte erreicht, was das aufgeschreckte Bürgertum vehement eingefordert hatte: Die Vertreibung des «Saufteufels» aus den Baracken und Arbeitersiedlungen. Das «Erbübel des Proletariats» war, zumindest nach Ansicht des Bundesrats, gebannt.

Monopol und Besteuerung

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Das staatliche Alkoholmonopol für gebrannte Wasser unterband ab 1887 den Wildwuchs auf dem Markt; die empfindliche Besteuerung des billigen Kartoffelschnaps zielte (wie die Alcopop-Besteuerung 2004) auf den Geldbeutel der Kunden. Diese wechselte über die Jahre zum unbesteuerten «Öbstler», 1932 wurde die Gesetzeslücke geschlossen.

Doch die Antialkoholbewegung warnte vor weiteren «Schnapswellen». Imaginiert oder real – ihre Schreckensvisionen bewegten das Bürgertum bis weit nach dem 1. Weltkrieg. Regelmässig hatte das Stimmvolk über Massnahmen zur Einschränkung des Alkoholkonsums zu befinden – in aller Regel blieben die Initianten erfolglos.

Wider den Branntwein

So auch die Urheber der Branntwein-Initiative von 1929, die es Kantonen und Gemeinden ermöglicht hätte, den Verkauf von Spirituosen zu verbieten – Prohibition Light. In radikalerer Form wurde diese in den frömmlerischen USA Realität. Die Bevölkerung trank die Weltwirtschaftskrise trotzdem weg. Al Capone begründete sein Mafia-Imperium auf illegalem Alkoholhandel.

Hierzulande entschied man sich 1932 zu einem gutschweizerischen Kompromiss: der grundlegenden Reform des ersten Alkoholgesetzes von 1887. Das «Bundesgesetz über die gebrannten Wasser» hat in seinen Grundzügen bis heute Bestand - zum Unmut der versammelten Politik, die seit Jahren über ein neues Gesetz brütet. Bislang erfolglos.

Die Kartoffelschnapspest grassiert

Begonnen hatte alles 1884. Damals brachte die Landesregierung ein Gesetz auf den Weg, in dessen langem Schatten sich noch heute die Politiker in Rage reden. Doch wo heutige Volksvertreter über Komatrinker klagen, die Bauernlobby um ihre Absätze bangt und Suchtexperten den Mahnfinger erheben, herrschte damals ein Gefühl, das alle einte: Verzweiflung.

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Denn die Pest wütete im Land. Doch nicht der Schwarze Tod ging um. Es war die «Kartoffelschnapspest», die die Zeitgenossen umtrieb. Die Seuche grassierte ungebremst: Männer frönten bis ins Delirium dem Gotthelfschen «Brönz», Frauen spendete der «Sorgenbrecher» Trost, Kinder, ja sogar Kleinkinder stellte er, untermischt mit Milch, ruhig. Allen diente er als billige Kalorienzufuhr.

«Härdöpfeler» fürs Volk

Die Ausbreitung einfacher Brenntechnologie hatte aus einem einstigen Luxusgut ein Volksgetränk gemacht. Tausende Brennhäfen in Schweizer Bauernbetrieben deckten die Menschen mit «Härdöpfeler» ein – eine unregulierte Schattenindustrie mit fatalen Folgen für die «Volksgesundheit».

Die Kartoffel, der sprichwörtliche Nothelfer der Armen in Krisenzeiten, offenbarte ihre hässliche Kehrseite – gleich mehrere Schnapswellen brandeten durchs Land. Die «soziale Frage», das Elend der Arbeiterklasse im Zuge der Industrialisierung, wurde zur «Alkoholfrage».

Jagd auf die gemeine Schnapsdrossel

Das Absinth-Verbot

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Eine der wenigen Ausnahmen, in denen das Stimmvolk für schärfere Alkoholgesetze votierte, war 1908 das Absinth-Verbot (63,5 Prozent Ja-Stimmen). Im Vorfeld hatten zahlreiche Verbrechen für Aufsehen gesorgt, die übermässigem Konsum der «Grünen Fee» zugeschrieben wurden – darunter ein Dreifachmord in Commugny (VD). 2005 wurde das Verbot aufgehoben.

Pfarrer, Ärzte, Schriftsteller, Politiker und Unternehmer formierten sich zu einer Allianz. «Abstinenzvereine» erhoben ihre Stimme gegen den Elendsalkoholismus; sie forderten die rigorose Trockenlegung der Gesellschaft. Wer für massvolles Trinken plädierte, fiel unter den Bannstrahl der Abstinenzbewegung – denn Gift bleibt Gift, so die einfache Losung.

In ungezählten Zeitungsbeiträgen und Traktaten schrieben die bewegten Bürger (wie es in einer Broschüre von 1880 heisst) gegen die «immense Gefahr für die moderne Gesellschaft» an. Der berühmte Psychiater und Sozialreformer Auguste Forel «adelte» den Schnaps als «sirenenhaften Verführer».

Vom Trunkenbold zum Patienten

Für die Zeitgenossen stand fest: Dem «Saufteufel» sollte der Garaus gemacht werden. Den Exorzismus sollten nicht die Pfarrer, sondern die Mediziner durchführen: Sie definierten Trunksucht erstmals als Krankheit, der liederliche Trunkenbold wurde vom kranken Alkoholiker abgelöst – es war die Geburtsstunde der modernen Prävention.

Nun reagierte auch die Politik. Der Bundesrat verlangte in seiner Botschaft vom 20. November 1884, «eine sofortige Gesetzgebung, durch welche der unserem Volke drohende physisch moralische und ökonomische Ruin abgewendet werden könnte». Drei Jahre später war das Gesetz Realität, und zeitigte langfristig Erfolg: Gegenüber dem 19. Jahrhundert ist der jährliche Alkoholverbrauch pro Kopf um zwei Drittel zurückgegangen.

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